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Sonntag, 1. April 2012

Versöhnung für alle

Ist Versöhnung mit Gott eine Gabe für nur einige auserwählte Menschen? Oder für viele auserwählte Menschen, aber jedenfalls nicht für alle? Oder eben doch – werden alle Menschen mit Gott versöhnt sein?

Die Antwort von Paulus in 2. Korinther 5 ist sehr eindeutig: Versöhnung ist für alle da, für die ganze Welt. Niemand ist ausgenommen.
„... das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. “ (2Kor 5,18-19)

Das ist die biblische Allversöhnungslehre: Die Welt ist mit Gott versöhnt. Seitdem ist alles anders geworden. Jeder Mensch, der lebt, ist jemand, an dem Gott bereits gehandelt hat.

Daraus sind einige Schlussfolgerungen zu ziehen:

1. Diese Welt hat eine Geschichte mit Gott, ob sie es weiß oder nicht. Gott hat eingegriffen und in der Welt und an der Welt gehandelt.

2. Versöhnung heißt nicht: Gott war in seiner Ehre gekränkt oder in seinem Herrschaftsbereich so getroffen, dass er zornig wurde und deshalb versöhnt werden musste oder sich dann wieder versöhnt hat. Gott hat nicht sich mit der Welt versöhnt, sondern die Welt mit sich versöhnt. Von Gottes Zorn redet die Schrift zwar oft und darüber ist noch intensiv nachzudenken. Aber fest steht: Nicht Gott musste versöhnt werden, sondern die Welt – wir.
Damit entfallen alle Einwände gegen eine Versöhnungslehre, die besagen: Was ist das für ein kleiner oder kleinlicher Gott, den man so empfindlich treffen kann, beleidigen kann und dessen Zorn dann durch Versöhnungsleistungen gestillt werden muss. Versöhnung als Leistung an Gott – das sagt Paulus gerade nicht. Ein solcher „kleinlicher“ Gott ist nicht der Gott der Bibel. Hier sollte man nicht mit falschen Gottesvorstellungen arbeiten.
Gottes Zorn kann ohnehin nicht durch Menschen gestillt werden. Gottes Zorn ist eine Realität, aber eine, mit der nur er selbst klar kommen kann. Doch davon muss ein anderes mal gehandelt werden.
Bei Paulus ist es eindeutig: Gott wurde nicht versöhnt, Gott hat versöhnt.

3. Die Welt ist durch Christus mit Gott versöhnt. An ihm vorbei weiß Paulus nicht von Versöhnung zu reden. Es ist also nicht so, dass man mit einem allgemeinen Gottesbegriff argumentieren kann: Gott ist Liebe und als Liebe könne er nicht dauerhaft zornig sein oder dauerhaft den Menschen ihre Verfehlungen anrechnen – das ginge nicht, weil es sich nicht mit der Liebe vertrage. – Dies ist ein Gedankengang, der ohne Christus auskommt – und der als Voraussetzung eben einen allgemeinen Gottesbegriff hat. Hier scheint eher ein „Prinzip Liebe“ zugrunde zu liegen als ein lebendiger Gott.
Paulus kennt die – recht verstandene – „Allversöhnung“ der Welt, aber die ist zentral verankert in Christus.

4. Die Versöhnung hat eine Begründung – signalisiert durch „denn“ in 2Kor 5,21: Christus ist zur Sünde geworden, hat sich mit ihr geradezu identifiziert (so wie Paulus im Galaterbrief sagen kann. Christus sei für uns ein Fluch geworden), und wir werden (verwandelt) zur Gerechtigkeit, die vor Gott gilt – und zwar „in Christus“. Was Paulus hier schreibt, hat die Kirche später mit der Formel vom „admirabile commercium“, vom „wunderbaren Tausch“ bezeichnet. Christus und wir tauschen die Rollen – er wird zur Sünde, wir zur Gerechtigkeit.
Dahinter steht die Vorstellung von der Stellvertretung. Die Rettung kommt von außen, nicht aus uns selbst, „extra nos“, wie die kirchliche Formel dafür lautet. Dass ein Stellvertreter nötig ist, zeigt damit zugleich, dass wir Menschen komplett unzureichend sind, um Versöhnung zu bewirken.
Aus den verschiedenen möglichen Deutungen des Lebens und Sterbens von Jesus ist hier bei Paulus also eine bestimmte besonders herausgegriffen und wichtig: die Stellvertretungs-Christologie. Dass Christus für uns zur Sünde gemacht wurde (2Kor 5,21), ist nicht denkbar ohne den Zusammenhang mit dem Tod von Jesus: „Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift.“ (1Kor 15,3). In dieser Deutung des Todes von Jesus spitzt sich die Versöhnungslehre des 2. Korintherbriefs zu.

5. Ist die Welt nun also mit Gott versöhnt? Von Gott aus ja. Aber das Faktum, das Gott geschaffen hat, ersetzt nicht die Zustimmung der Versöhnten. „So bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2Kor 5,20) An der Welt ist etwas geschehen, aber sie muss es nun auch an sich geschehen lassen. Sonst gleicht sie dem mit dem Fallschirm abgesprungen Soldaten, der auf einer Pazifikinsel gelandet ist, nicht mitbekam, das der Krieg zu Ende ging und sich immer noch in Verteidigungsgräben eingräbt und auf jeden Boten schießt, der vom Feind zu kommen scheint.

6. Die Welt ist versöhnt, aber auf einem bestimmten Weg. Zwei Möglichkeiten sehe ich, diese Versöhnung zu verpassen: entweder ihr nicht zustimmen und mit Gott keinen Frieden schließen wollen; oder Versöhnung zwar wollen, aber nicht auf dem Weg des „wunderbaren Tauschs“, sondern an Christus vorbei.

Damit ist noch längst nicht alles betrachtet, was Paulus zur Allversöhnung sagt. In einem folgenden Beitrag muss es um Kolosser 1,20 gehen. Fortsetzung folgt.