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Dienstag, 27. März 2012

Wird die Liebe gewinnen?


Gott ist Liebe. Sehr einseitig. Er ist zwar auch gerecht, aber die Liebe ist sein Wesen. Wenn Gott alle seine Geschöpfe liebt – wird er dann am Ende nicht auch alle annehmen? Alle für sich gewinnen?
Wie könnte ein liebender Gott es ertragen, dass manche seiner Menschen verloren gehen?

Zum Wesen der Liebe gehört es, dass sie wirbt. Dass sie alles einsetzt, um ein Gegenüber für sich zu gewinnen. Gewinnen heißt: Die Liebe will Gegenliebe wecken. Sie kann nicht zur Gegenliebe zwingen. Zumindest können wir Menschen uns eine solche zwingende Liebe nicht vorstellen. Für uns gehört zur Liebe notwendig die Freiheit des Geliebten, dass er antwortet – so oder so, mit ja oder nein –, oder dass er eben auch nicht antwortet.
Wo Liebe in menschlichen Beziehungen mit Zwang verbunden ist, da spüren wir schnell, wie beklemmend das wird.

„Das letzte Wort hat die Liebe“ – mit dieser Formulierung kann man die Hoffnung ausdrücken, dass am Ende alle Menschen von Gott angenommen werden. Ohne dass ich das gleichnamige Buch gelesen habe, erlaube ich mir, über diese Formulierung nachzudenken. Wenn es die Liebe ist, die das letzte Wort hat, dann kann dieses Wort keins sein, das sein Gegenüber festlegt. Dieses letzte Wort, das Gott sprechen wird, kann die Intensität der Liebe vielleicht in bisher nicht gekanntem Maß offen legen. Gott kann einen unvergleichlichen Blick in sein vor Liebe brennendes Herz gewähren und klar machen, was er sich diese Liebe hat kosten lassen. Aber wenn es Liebe ist, wird sie die Zustimmung nicht erzwingen.

Wie könnte ein liebender Gott ertragen, dass manche seiner Menschen ihm verloren gehen? „Muss“ er nicht alle retten, wenn er Liebe ist? Gegenfrage: Wie könnte ein liebender Gott es ertragen, dass er letztlich einige seiner Menschen nur so gewonnen hat, dass er ihnen am Ende eine Rettung aufgezwungen hat oder ihnen vorher die Freiheit zur Antwort genommen hat? Wie könnte Gott als Liebe es ertragen, dass er zum Schluss sich selbst die Antwort, um die er wirbt, erschaffen hat?

Das Wort „Mission“ hat für viele einen schlechten Klang, weil es mit Überredung zusammen zu hängen scheint. Es scheint der Würde und Freiheit der Menschen zu widersprechen. Wer einen anderen respektiert in dessen innersten Überzeugungen, der wird ihn doch wohl nicht „bekehren“ wollen! So geht der Gedankengang vieler. Nicht selten wird im gleichen Atemzug ausgeschlossen, dass Gott am Ende Menschen verwerfen wird. Solch ein Gott scheint doch nichts mit Liebe zu tun zu haben.
Aber was tritt den Respekt und die Menschenwürde mehr mit Füßen: Wenn jemand „missioniert wird“, d.h. jemand macht eine Aussage darüber, was er glaubt, und lädt den anderen auch zu diesem Glauben ein? Oder ein Gott, der am Ende die erklärte Absicht von Menschen doch nicht respektiert und alle auf seine Seite holt? Egal, ob sie seine Liebe erwidern wollen oder nicht? Dass Gott alle Menschen in den Himmel bringt: Liegt darin nicht auch eine kräftige Missachtung der Würde – weil es Missachtung menschlicher Freiheit wäre?
Natürlich will Gott von Herzen keinen Menschen verwerfen. Aber was ist mit denen, die ihn verwerfen? „Kriegt“ er die letztlich dennoch?

Aber – was für ein Schmerz wäre es für einen liebenden Gott, wenn ihm dann doch einige verloren gehen! Kann das denn sein?
Gegenfrage: Kann es Liebe ohne Schmerz überhaupt geben? Muss nicht die Möglichkeit des Schmerzes in der Liebe notwendig mit enthalten sein? Vor Jahrzehnten gab e ein Buch mit dem Titel: „Theologie des Schmerzes Gottes“. Allein in diesem Titel ist schon etwas sehr Wahres erkannt!
Und was ist mit den Tränen, dem Leid und dem Schmerz? All das soll doch in Gottes neuer Welt verschwunden sein (Offb 21,4). Kann denn dann noch in Gott selbst ein Schmerz bleiben?
Hier bleibt für meine Logik eine Lücke. Ich kann das nicht erklären. Aber andererseits: Damit es keinen Schmerz gibt, deshalb die Freiheit des Menschen am Ende doch nehmen – kann das denn sein? Auch das gibt meine Logik nicht her.

In menschlicher Liebe zumindest ist es so: Wenn sie auf keine Gegenliebe stößt, wenn sie kein „Ja“ als Antwort bekommt, dann nimmt diese abgelehnte Liebe einen reifen uns guten Weg, wenn sie irgendwann das Nein akzeptiert. Und sich irgendwann von den Erwartungen, die nicht erfüllt werden, verabschiedet. So wird die reife Liebe frei, das zu sehen, was auch noch da ist. Dahin zu blicken, wo sie Antwort auf die Liebe findet.
Ist Gottes Liebe am Ende der Zeiten auch so? Dass sie einen schmerzlichen Ablöseprozess durchmachen und die Tatsachen anerkennen muss?

Mich stören im biblischen Bild von der Vollendung, wie es Offb 21—22 beschreibt, die „negativen“ Aussagen: Dass auch jetzt noch betont werden muss, wer nicht dazu gehört und wer auf der Seite des Todes ist (V. 8.27). Angenommen, die hier verwendeten drastischen Bilder – der See von Feuer und Schwefel – wären ein symbolisches Bild für das Gegenteil des Lebens. Gott sieht sich als die Quelle des Lebens. Nicht jeder Mensch wird das anerkennen und annehmen. Diese Menschen finden das Leben – zumindest das, wie Gott es definiert – nicht. Gott lässt sie los. Sie gehen auf die Gegenseite.
Ob die Verse 8 und 27 in Offb so etwas sind wie Echos auf den Anerkennungs-Prozess Gottes? Ein Nachhall von Gottes Liebe, die jetzt ein Ja dazu findet, dass manche Nein zu ihr sagen, und die sich nun von den Geliebten ablöst, nachdem diese sich bereits abgelöst haben? Ist das der Grund, warum in dem hellen Bild von Offb 21—22 auch diese dunklen Verse stehen?
Das ist jetzt keine exakte Schriftauslegung, wie ich sie eigentlich richtig finde. Aber immerhin lautes Nachdenken über Gottes Wort und Gottes Wesen.

Was für mich überzeugend bleibt: Liebe kann nie zwingen. Liebe muss mit der Möglichkeit des Nein rechnen. Liebe versucht zu gewinnen, aber das kann nur ergebnisoffen sein. Eine Liebe, die letztlich doch garantiert alle „kriegt“, ist widersinnig – das ist keine Liebe, oder?