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Sonntag, 8. April 2012

Das Ziel von Gottes Plänen


Das Ziel von Gottes Plänen beschreibt Paulus in Kol 1,19-20 folgendermaßen:

„Denn es hat Gott wohlgefallen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte und er durch ihn alles mit sich versöhnte, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.“

Alles soll mit Gott versöhnt sein. Man kann auch übersetzen: Das All soll mit Gott versöhnt sein. Das klingt sehr universal – als ob auch das Universum mit gemeint sein könnte.
Wir begegnen hier Bekenntnis-Aussagen, die schon aus 2Kor 5 bekannt sind: Gott hat bereits die Versöhnung gestiftet (Christus hat Frieden gemacht). Nicht Gott musste sich versöhnen, sondern die Welt (Hier im Kolosserbrief: „alles“) musste sich mit Gott versöhnen bzw. mit Gott versöhnt werden. Und: Der Weg zu dieser Versöhnung ist klar definiert; er geht über Christus und sein Kreuz.

Deutungen des Kreuzes
Das Kreuzesverständnis im Kolosserbrief setzt dabei andere Akzente als der 2. Korintherbrief. Dort haben wir eine Stellvertretungs-Christologie gefunden. In Kol 2,14-15 drückt Paulus es anders aus. Es verbinden sich zwei Vorstellungen: a) das Kreuz als Ort, an dem die Schuld bezahlt wurde. Der Schuldschein ist ans kreuz geheftet – dorthin, wo das Vergehen des Hingerichteten angezeigt wurde. Der Gekreuzigte wurde also für „unsere“ Schuld hingerichtet. b) Dieses Geschehen ist ein Sieg und Triumph Gottes. „Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.“ Das ist bemerkenswert: Der Moment größter Qual und Erniedrigung ist zugleich der große Sieg und die völlige Überlegenheit von Christus.
Dem Kolosserbrief reicht an dieser Stelle also nicht eine einzige geistliche Deutung des Kreuzes von Christus aus. ER verbindet zwei Deutungen. Die Erfahrung, dass Gottes Sohn am Kreuz starb, ist zu reich, als dass man sie mit nur einer einzigen Vorstellung ausreichend erfassen könnte. Jedoch fehlt auch im Kolosserbrief die Stellvertretungs-Christologie nicht völlig.


Gottes Plan A
Eine solche Allversöhnung ist also Gottes erklärte Absicht. Für dieses Ziel hat er die ganze Welt geschaffen. Für dieses ziel hat er den höchsten denkbaren Preis bezahlt, nämlich seinen Sohn hingegeben. Es wäre kaum vorstellbar, dass das umsonst gewesen sein sollte. Diese Allversöhnung ist Gottes Plan A.

In dem theologischen Vortrag, den ich vor einigen Wochen hörte, war gerade diese Schriftstelle ein Hauptbeleg des Referenten: Alles ist auf Christus hin geschaffen (kol 1,16). In ihm also sollen sich alle Linien der Geshcihte einmal bündeln. Nichts anderes will Gott.

Nun ist der Satz aus Kol 1,20 ja eine Absichtserklärung. Keine Voraussage – „es wird so sein“ –, sondern ein „Damit“-Satz: „Damit es so kommen wird“. Daraus ergibt sich die Frage: Wird sich dieser Wille Gottes erfüllen? Kommt Gott mit allem, was er will, zum Ziel?
Wie ist es an anderen Stellen in der Schrift? Kommen Gottes Pläne immer zum Ziel?

Seitenblick in den Epheserbrief

Der Epheserbrief ist mit dem Kolosserbrief eng verwandt. Im ersten Kapitel dort zeigt Paulus die Grundabsichten Gottes auf. Unter anderem nennt er: „Er hat uns ja das Geheimnis seines Willens zu erkennen gegeben … alles zusammenzufassen in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist - in ihm.“ (Eph 1,9-10) Das klingt recht ähnlich wie im Kolosserbrief. Eine weitere Absicht Gottes ist: „damit wir etwas seien zum Lob seiner Herrlichkeit.“ (Eph 1,12)
Wird diese Absicht eintreffen – werden alle Glaubenden „etwas sein zum Lob von Gottes Herrlichkeit“? Paulus erweckt nicht den Eindruck, als stünde dieser Plan Gottes auf der Kippe. Er schreibt mit großer Zuversicht. Dennoch zeigt der Epheserbrief, dass einzelne sich dieser Absicht Gottes entziehen können. Deshalb mahnt Paulus die Gemeinde ernsthaft. In Eph 5,5 sagt er klar, dass Menschen, die sich nicht in ihrem Leben von Gott prägen lassen, keinen Anteil am Reich Gottes haben werden. Sie sind dann also nicht „etwas zum Lob seiner Herrlichkeit“. Der Grundklang des Briefes bleibt: Zuversicht. Aber die Absicht Gottes ist dennoch kein Selbstgänger. Die negative Möglichkeit, dass einzelne Gottes Absichten verpassen, bleibt am Rande bestehen.
Gott kommt demnach mit seinem Plan – den er teuer bezahlt hat – nicht überall zum Ziel. Unserer Vorstellung von der Allmacht Gottes widerstrebt das vermutlich. Aber Gott ist offenbar keiner, der seinen Plan A gegen alle Widerstände durchsetzt.

Seitenblick ins Lukasevangelium

Das Gleichnis vom Vater und seinen beiden Söhnen (Lk 15) lässt die Leidenschaft des Vaters deutlich erkennen: Er will beide Söhne bei sich zu Hause haben, und zwar nicht nur im Haus, sondern in seiner Nähe, in vertrautem Umgang mit ihm. Keinem der beiden Söhne zwingt er diesen Plan auf. Der jüngere Sohn erfüllt schließlich die Absicht des Vaters – aus freien Stücken. Der ältere auch? Im Verlauf des Gleichnisses nicht. Der Vater lädt ihn dringlich ein. Aber dann endet das Gleichnis. Ist es nicht sehr bezeichnend, dass Jesus das Ende offen lässt? Liegt darin nicht eine bedeutsame theologische Aussage, nämlich: Es bleibt eben offen, ob der ältere Sohn auch zum Vater heimkehrt? Niemand kann das ausschließen. Und niemand kann logisch zwingend beweisen, dass es so sein wird – dass er heimkehren wird, dass die Liebe des Vaters ihn so überwinden wird, dass er ihr schließlich folgt.
Das Bild des Vaters, das Jesus zeichnet, ist allerdings eindeutig: Er zwingt keinen. Er hat seinen „Plan A“, aber ist bereit, sich darauf einzulassen, dass dieser Plan nicht zum Ziel kommt und er auf einen „Plan B“ umschwenken muss.

Zurück zum Kolosserbrief

Auch in Kolosser 1, unserem Ausgangspunkt, bleibt der Absichtssatz nicht mehr als ein Absichtssatz. Er wird nicht zum Zukunftssatz, zur festen Vorankündigung: „Denn es hat Gott wohlgefallen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte und er durch ihn alles mit sich versöhnte ...“
Wird sich das erfüllen? In V. 22 betont Paulus, dass die Versöhnung „für euch“ (die Christen in Kolossä“ eine gegebene Tatsache ist. Aus ihr folgt die Möglichkeit, dass sie heilig in Gottes Gegenwart sein können. Dann aber (V. 23) fügt Paulus eine Bedingung an: „sofern ihr im Glauben gegründet und fest bleibt und euch nicht abbringen lasst von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt, das in der ganzen Schöpfung unter dem Himmel gepredigt worden ist ...“
Unter dieser Bedingung kommen Gottes Pläne zum Ziel. Unter dieser Bedingung erfüllt sich Gottes Absicht der Allversöhnung.

Das erste Kapitel des Kolosserbriefs ist ein biblischer Hauptbeleg für die verschiedenen Allversöhnungslehren. In diesem ganzen Kapitel aber, vollständig gelesen, kann ich nicht erkennen, dass am Ende der Zeiten einmal jeder einzelne von Gott angenommen wird. Oder besser gesagt: Dass sich jeder einzelne einmal von Gott wird annehmen lassen.