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Sonntag, 16. August 2015

Wie Gott unterschiedliche Charaktere gebraucht

Die Propheten Elia und Elisa in ihrem Miteinander und Nebeneinander

Die Propheten Elia und Elisa gehören eng zusammen. Nicht nur ihre Namen sind ähnlich. Elisa ist der Nachfolger Elias und setzt sein Wirken fort. Elia selbst hat, auf Gottes Anweisung hin, Elisa als Nachfolger berufen.

Ein Einzelgänger


Doch vom Wesen her sind diese beiden Männer völlig verschieden. Elia ist ein Solist, ein Einzelgänger. Er steht oft in Opposition zum König und zu den Priestern seines Volkes. Er geht seinen Weg ohne Begleitung. Gott versorgt ihn in der Einsamkeit, zum Beispiel durch die Raben am Bach Krith. Elia kann sich zwar fürsorglich um andere kümmern und er ist immer wieder auch auf die Hilfe anderer angewiesen. Aber im Mittelpunkt seines Lebens steht nur sein Auftrag. Andere Menschen einzubeziehen ist nicht sein Ding. Neben ihm gibt es durchaus viele andere Propheten, die Gott ebenso treu sind wie Elia. Eigentlich weiß Elia auch davon. Aber das spielt in seinem Denken keine Rolle, er sieht sich (fälschlich) als Einzelkämpfer und schätzt seine Lage manchmal so ein, als ob alle Welt um ihn herum gegen ihn ist. Insbesondere legt Elia keinen Wert darauf, andere Propheten in sein Wirken einzubeziehen. Er hat keine Schüler um sich – nur einen Diener, doch auch den lässt er irgendwann zurück, ohne dass deutlich wird, was aus dem dann wird.

Dieses Verhalten, dieser Lebensstil hat sicherlich viel mit der besonderen Berufung Elias zu tun. Gott hat ihn nicht beauftragt, eine Prophetenschule anzuführen. Doch längst nicht alles am Verhalten Elias ist in seiner Berufung begründet. Vieles hat auch einfach mit seinem Charakter, zum Beispiel mit seiner besonderen Willensstärke, zu tun.

Ein Mensch für die Gemeinschaft

Elisa ist der Nachfolger von Elia. So wollte es Gott. Und diesen Propheten treffen wir in vielen Momenten in der Gemeinschaft von Prophetenschülern an. Zu Elisas Wirken gehört es, andere konsequent einzubeziehen, sie anzulernen, mit Aufgaben zu betrauen und sie zu unterstützen. Elisa ist ein Mann Gottes, der über den Tag hinaus wirkt und der eine Bedeutung für die Generation nach ihm haben soll und auch haben will.

Auch hier kommen sicherlich beide Faktoren zusammen: Gottes besondere Berufung und der Charakter, die Wesensart dieses Propheten.

Zunächst ist an diesen beiden unterschiedlichen Dienern Gottes also zu sehen, wie Gott verschiedene Charaktere gebraucht: mit ihren Gaben und Grenzen, ihren Möglichkeiten und Schwächen. Es gibt Gemeinschaftsmenschen und es gibt auch Solisten in Gottes Reich. Es gibt Menschen, die für „heute“ prägend sind, und andere, die die Menschen von „morgen“ prägen. Es gibt sachorientierte und menschenorientierte Leute.

Von den Grenzen des Solisten


Allerdings zeigt gerade Elia auch die besondere Gefährdung von Einzelgängern. Gott hat ihn als Einzelgänger in den Dienst genommen, aber an einigen Stellen wird deutlich, dass Elia nicht auf der Höhe von Gottes Sicht ist. Dass Gott ihn doch mit mehr Menschen umgeben hat. Und dass es ungünstig ist, sich so zu isolieren.

Das eine Beispiel ist schon angeklungen. Elia irrt sich, wenn er meint, er allein sei als treuer Nachfolger Gottes übrig geblieben. Nicht nur dass Gott ihm erklärt, er habe siebentausend treue Menschen übrig gelassen. Das konnte Elia vielleicht nicht wissen. Aber da waren ja auch noch die hundert Propheten, von denen Elia Kenntnis hatte. Dieses Wissen hätte helfen können, ihn vor der Sackgasse der Verzweiflung zu bewahren.

Auch sein Umgang mit Elisa scheint fragwürdig und Elisa hätte eigentlich mehr Zuwendung von Elia verdient. Elias Auftrag lautete, Elisa zum Propheten zu salben. Doch was Elia tut, ist weit weniger: Er spricht Elisa eine Berufung zu, deutet mit der Geste des Prophetenmantels auch die Bestimmung zum Propheten an, aber Elisa wird dann erst einmal bloß der Diener von Elia – nicht mehr.

Erst später, als sich abzeichnet, dass Elias Leben zum Abschluss kommt, wird Elisa richtig zum Propheten eingesetzt. Vorher versucht Elia merkwürdigerweise, seinen Nachfolger auf dem Weg abzuschütteln. Erst ganz zum Schluss erlaubt er ihm eine Bitte. Und Elisa erbittet den doppelten Anteil von Elias Geist. Auch hier scheint Elia sich zu sperren und gibt nur eine unverbindliche Antwort. Es sei etwas Schweres, was Elisa erbeten habe. Man fragt sich, worin die Schwierigkeit liegt, wenn Elia doch längst von Gott den Auftrag bekommen hat, Elisa zum Propheten zu salben – und Salbung bedeutet ja auch, dass Heiliger Geist „aus-geschenkt“ wird. Elisa könne nur abwarten, ob sein Wunsch sich erfüllt oder nicht – mehr hat Elia seinem Diener nicht zu sagen.

Der Mann, der kein Vater sein wollte

Offenbar hatte Elisa aber mehr im Sinn als nur die Einsetzung zum Propheten. Der doppelte Anteil, um den er bittet, ist der Anteil für den Erstgeborenen. So ist es im biblischen Erbrecht bestimmt – der Erstgeborene wird in seiner Vorrangstellung bestätigt, indem er den doppelten Anteil des Erbes bekommt. Elisa äußert also die Bitte eines Sohnes um den Segen. Elisa wendet sich an Elia nicht als Propheten, sondern als Vater. Genauso lautet denn auch sein Ruf, als Elia zum Himmel hin verschwindet: „Mein Vater, mein Vater!“ Vielleicht kein unangemessener Wunsch, nachdem Elisa damals seinen eigenen Vater, seine eigene Familie verlassen hatte, um Elias Diener zu werden.

Doch dieser Bitte hat Elia sich entzogen, indem er eben nur so unverbindlich antwortete. Bis zuletzt bleibt er der Solist, der kein Vater sein will. Das einzige, was er Elisa hinterlässt, ist sein Prophetenmantel. Damit beginnt Elisa nun sein Wirken als Prophet. Darin wird er bald dem Elia ebenbürtig sein. Und er wendet sich den jüngeren Propheten, den Prophetenschülern zu. Er schenkt anderen eine Erfahrung, die er selbst so nicht gemacht hat.

In den Erzählungen der Bibel werden diese Umstände einfach berichtet. Manchmal stellt der biblische Erzählfaden einen Zusammenhang her (zum Beispiel als Elia zu Unrecht sagt, er sei allein übrig geblieben). Manchmal sind die Zusammenhänge kaum angedeutet. Die Bibel bewertet das Verhalten Elias und die Rolle Elisas nicht. Aber vielleicht sind auch diese Erzählungen dazu gedacht, dass man über sie nachdenkt und dass man als verstehender Hörer oder Leser selbst auf die Maßstäbe Gottes kommt, an denen das Verhalten der beiden Propheten gemessen werden kann.

Unter dem Strich bleiben diese Beobachtungen:

Gott gebraucht Menschen sehr unterschiedlichen Charakters: Einzelgänger und Beziehungsmenschen.

Und: Einzelgänger können nicht selten in der Gefahr stehen, einen Segen zu verpassen, den Gott durch sie weitergeben wollte.

Und: Gott kann Menschen wie Elisa ein segensreiches, erfülltes Leben schenken und sie für sein Reich gebrauchen, auch wenn sie von der Generation vor ihnen nicht alles mitbekommen haben, was sie hätten bekommen können.



(Die biblischen Erzählungen stehen in 1. Könige 17—19 und 2. Könige 1,1—6,7.)