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Mittwoch, 25. April 2012

Abraham, Mose, David


Für das Ende der Zeiten setzt Gott ein Ziel für alle Menschen: versöhnt mit ihm in Gemeinschaft zu leben. In den bisherigen Beiträgen wurde deutlich, dass es Grund zur Annahme gibt, dass nicht alle Menschen dieses Ziel erreichen. Weil Gottes Liebe Freiheit einschließt.

Wenn Gottes Ziel in greifbarer Nähe sein wird oder erreicht ist, dann spielen – laut der Offenbarung des Johannes – zwei Namen aus Israels Geschichte eine Rolle: Mose und David.

Mose

Die Gott treu geblieben sind, werden das Lied des Mose und das Lied des Lammes singen (Offb 15). Der Text lässt erkennen, dass es ein Lied ist, nicht zwei verschiedene. Aber es ist von einer Art geistlicher Zweistimmigkeit die Rede. Das Lamm, Christus, wird geehrt, wobei der Klang von Mose her deutlich hörbar ist. Das bedeutet: Wer zu Christus kommt, stellt sich bewusst in die Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk – in die Geschichte Israels. Israel wird – als erneuerter und glaubender Rest des Volks – ergänzt durch die Christusgemeinde aus allen Nationen, aber Israel wird nicht durch diese Gemeinde ersetzt. „Mose“ und „Lamm“ klingen in dem Lied miteinander, und die Lamm-Stimme wird die Mose-Stimme nicht übertönen.
Wer das Ziel von Gottes Geschichte erreicht, der hat ein Ja zu Christus. Und wer ein Ja zu Christus hat, der hat auch ein Ja zu „Mose“, zu Israel. Anders geht es nicht.

David

Ganz am Schluss wird Christus im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Christus, der von sich sagt: „Ich bin der Ursprung Davids und zugleich sein Nachkomme.“ (Offb 22,16)
David und seine Nachkommen bilden die Linie von Gottes Verheißung. David ist der Gesalbte, dessen „Sohn“ dann der Retter der Welt wurde: Jesus, der Sohn Davids. Christus reicht in seiner Bedeutung hinter David zurück (als sein Ursprung), aber kommt zugleich von ihm her. In Jesus hat Gott gezeigt, dass er der Davids-Verheißung, die er Israel gab, treu bleibt.
Auch diese letzte Selbstvorstellung von Christus in der Bibel knüpft unübersehbar an eine Israel-Linie an.

Wer wird an Gottes Ewigkeit teilnehmen?
Es können nur Menschen sein, die dem zustimmen, dass Gott sie in die Israel- und Christuslinie stellt.

Werden alle Menschen in einer solchen Ewigkeit ankommen wollen? Oder wird es welche geben, die dankend verzichten?
Antisemiten? Nationalsozialisten?
Muslime?

Abraham

Die Nähe von Muslimen zum Gott der Bibel wird oft hergeleitet durch die Verwandtschaft mit Israel von Abraham her. Abraham, der gemeinsame Glaubensvater von Juden und Muslimen.
Wenn aus dieser Einsicht Kraft zu einem friedlichen Miteinander jetzt erwächst, dann ist das wunderbar. Man kann Israel nur von Herzen gönnen, dass Muslime aufgrund ihres Herkommens von Abraham allen Auslöschungs-Plänen abschwören.

Aber wenn Gottes Ziel in der Offenbarung des Johannes beschrieben wird, dann fällt der Name Abraham nicht. Sondern es fallen Namen, die für die Geschichte stehen, die Gott sehr besonders mit Israel hat.

Gewinnt Gott alle Menschen am Ende der Zeit?

Wer Christus ablehnt und wer Israel ablehnt, wird der sich wirklich von Gott für DESSEN Ziel der Geschichte gewinnen lassen?

Sonntag, 22. April 2012

Jesus – „Dieser nimmt die Sünder an!“


„Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen!“ (Lukas 15,1). Das hat man damals über Jesus gesagt. Kaum etwas ist so typisch für Jesus wie seine Zuwendung zu denen, die glaubensmäßig untauglich erschienen. Er hat besonders ihnen den Weg in Gottes Königsherrschaft geöffnet.

Wenn Jesus niemanden ausschloss und sagte: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinaus stoßen“ (Joh 6,37) – ist nicht gerade Jesus dann der Beweis, dass Gott am Ende alle annehmen wird? Wenn Jesus das zuverlässigste Spiegelbild Gottes ist, kann der Gedanke dann überhaupt noch möglich sein, dass Gottes Gericht am Ende einen doppelten Ausgang hat, mit Annahme und Verwerfung?

Hier kommt alles darauf an, von „welchem“ Jesus wir sprechen. Es gibt den Jesus, dessen Bild man unwillkürlich auf wenige Verhaltensweisen und Werte reduziert. Der „liebe Heiland“, der nichts Böses will. Und diese Redeweise vom „lieben Heiland“ darf ja tatsächlich nicht zur Karikatur werden! Heiland heißt Retter, und lieb heißt in diesem Fall: liebend. Jesus ist und bleibt der liebender Retter. Der Spruch vom „lieben Heiland“ hat einen richtigen Kern.

Aber Jesus ist ja keine eindimensionale Person. Jesus ist vieles – unter anderem auch Prophet in der Tradition alttestamentlicher Propheten.

Jesus als Prophet

Und nun muss man zugeben, dass in der Verkündigung von Jesus sich durchaus viele Worte finden, die von einem doppelten Ausgang des Gerichts sprechen. Das ist schroff. Aber Jesus, der liebende Retter, ist eben zugleich auch schroff, wie ein alttestamentlicher Prophet.
Die Gleichnisse vom Reich Gottes gehören anerkanntermaßen zum Kern von Jesu Botschaft (Matthäus 13; Markus 4). Gerade hier ist immer wieder von der Möglichkeit die Rede, dass Gott am Ende richtet und trennt und dass dann auch welche verloren gehen – wie Spreu, wie Unkraut, wie unnütze Fische. Der liebende Retter Jesus nimmt die Sünder an und wer zu ihm kommt, den wird er nicht hinaus stoßen. Aber das Gegenteil ist nicht weniger betont: Wer nicht zu ihm kommt, denn muss er gar nicht mehr hinaus stoßen, denn er hat sich selbst ja schon nach draußen gestellt – und dort wird Jesus ihn auch lassen, wenn denn in seinen Gleichnissen z.B. vom Unkraut unter dem Weizen und vom Fischnetz (Mt 13) Wahrheit enthalten ist.

Hier müsste man über einen möglichen Einwand sprechen. Jesus redet in der Tradition der alttestamentlichen Propheten und die haben vielfach Gottes Gericht angesagt. Aber fast immer waren das – z.B. bei Jesaja oder Amos – doch Rufe zur Umkehr. Gott hat hier nicht die starr verlegten Gleise in die Ewigkeit beschreiben lassen. Sondern er hat die Botschaft vom Gericht und der Verwerfung in Auftrag gegeben, damit die Hörerinnen und Hörer umkehren und gerade nicht im Gericht scheitern und verworfen werden.
Sind die Gleichnisse von Jesus nicht Ähnliches? Ernste Warnrufe, die aufrütteln wollen, damit das angekündigte Unheil gerade nicht eintritt?

Das könnte so sein. Vielleicht (!) wollte Jesus einen Satz wie Matthäus 13,49-50 noch nicht als Gottes letztes Wort verstanden wissen. Vielleicht.
Aber auch hier müssen wir genauer hinsehen.

Bußrufer  und Apokalyptiker

Die alttestamentlichen Propheten kann man – grob – in zwei Gruppen einteilen: Diejenigen, die ihre Zeitgenossen in der Gegenwart zur Umkehr rufen, und die anderen, die Endzeitvorhersagen machen. Diese Endzeitpropheten gehören zu der Sorte der „apokalyptischen Prophetie“. Die haben eher über mehr oder wenige festgelegte Zukunfts-Szenarien gesprochen. Bei denen geht es um die Endzeit. Aber die andere Gruppe von Propheten wollte das eben nicht, sondern es waren „Buß-Propheten“; Umkehrrufer für ihre Zeitgenossen.
Wenn Jesus also ein Prophet der „ersten Sorte“ war, wie z.B. Jesaja, dann wollte er vielleicht doch keine endgültigen Aussagen über dass Endgericht machen?

Jedoch verbinden sich bei einzelnen Propheten beide Sorten von Prophetie. Mitten im Jesajabuch findet sich die sogenannte „Jesaja-Apokalypse“ (Kapitel 24 bis 27). Die historisch-kritische Theologie mag diese Kapitel dem Jesaja der vorhergehenden Kapitel absprechen und meinen, in dieser Apokalypse käme ein ganz anderer Prophet zu Wort. Nun, selbst wenn – bei Jesus ist es unbestreitbar, dass er beide Sorten von Prophetie verbindet: den Umkehrruf an seine Zeitgenossen und die apokalyptische Prophetie (unübersehbar in Mt 24-25 und Mk 13 und Lk 21).

Die Worte von doppelten Ausgang des Gerichtes Gottes finden sich bei Jesus nun nicht allein in den Reich-Gottes-Gleichnissen (erste Sorte von Prophetie), sondern auch in seinen apokalyptischen Worten, z.B. in Mt 24,40-41.

Das Maß aller Dinge, das Maß allen Denkens

Christliche Theologie hat – wenn sie denn christlich ist – in Christus ihr Maß. „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“ (These 1 der Barmer Theologischen Erklärung)
In der Frage nach Gottes Gericht und der Versöhnung am Ende ist Jesus Christus ebenfalls das Maß aller Dinge.

Er ist der liebevolle Retter, der niemanden hinaus stößt, der zu ihm kommt. Aber damit ist gerade der präzise Ort genannt, wo Rettung zugänglich ist: „zu ihm kommen.“

Wer diesen Weg willentlich nicht wählt, der muss sich mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass Gottes Gericht am Ende eine doppelten Ausgang hat: Er nimmt die an, die sich auf Jesus verlassen, und akzeptiert die Ablegung derer, die das nicht
tun wollen.

Auch von Jesus her ist eine Allversöhnung nicht gut zu begründen.

Samstag, 21. April 2012

Mission unnötig?


Ob Gott am Ende doch alle Menschen annehmen wird oder dabei bleibt, auch welche zu verwerfen – über diese Frage habe ich in den bisherigen Beiträgen nachgedacht. Dabei ist schon deutlich geworden, dass es weniger darum geht, dass Gott Menschen verwirft. Sondern dass Menschen Gott verwerfen und dass Gott das vermutlich sehr ernst nimmt.

Ein Argument gegen die „Allversöhnung“ ist oft: Wenn Gott doch alle annehmen würde, dann müssten Christen ja gar nicht mehr missionieren. Also – Umkehrschluss –: Weil Jesus die Mission angeordnet hat, muss es wohl so sein, dass nicht alle Menschen gerettet werden.

Mich hat dieser Einwand nie so recht überzeugt.

Wenn Gott am Ende alle Menschen annehmen würde – dann wäre es dennoch höchst sinnvoll, sie jetzt schon zu ihm einzuladen. Denn sie würden ja sonst wertvolle Jahre ihres Lebens verpassen, die sie ohne Gott leben, und viel zu spät ihr Glück in ihm finden. Schade um die Zeit.

Hinter dem oben genannten Einwand scheint mir ein falsches Verständnis vom Reich Gottes zu stehen: Das Reich Gottes wäre die Ewigkeit, und damit man in den Himmel kommt, muss man die Botschaft von Christus hören. (Und wenn man letzten Endes sowieso in den Himmel käme, müsste man die Botschaft demnach eben nicht unbedingt hören.)
Doch das Reich Gottes beginnt ja längst nicht erst „im Himmel“, in der Ewigkeit. Es ist mit Jesus gekommen und erreicht jeden sofort, der Jesus vertraut.
Deshalb ist es sinnvoll und dringend, Mission zu leben, und zwar in dem Sinne, wie es Fulbert Steffensky kurzgefasst definiert hat:

Mission heißt: Zeigen, was man liebt.

Weil Gottes Reich schon unterwegs ist und nur durch Jesus Christus zugänglich ist, ist es sinnvoll, dafür einzuladen. Und falls Gott am Ende doch alle Menschen annehmen würde (was auch dann nicht an Christus vorbei passieren kann), dann wäre es doch wunderbar, wenn auch diese Menschen nicht vorher alles Glück in Gott verpasst hätten. Dafür würde sich schon jede Mission lohnen.

Ich persönlich sehe in der Heiligen Schrift keine tragenden Gründe, zuversichtlich anzunehmen, dass Gott alle Menschen am Ende doch rettet. Ich vermute, Gott lässt die Freiheit zum Nein bis zuletzt. Aber das Argument „... dann müssten wir ja auch nicht missionieren“ scheint mir in der Allversöhnungs-Diskussion nicht treffend zu sein.

Donnerstag, 19. April 2012

Theologie der Ergänzung


Die Frage, ob Gott alle Menschen am Ende für sich gewinnen wird, hängt eng mit einer anderen Frage zusammen: mit der Frage der Versöhnung. Das Schlagwort, das schon lange in der Christenheit diskutiert wird, heißt ja „Allversöhnung“. Um hier ein wenig Klarheit zu gewinnen, ist es also nötig, über die Versöhnung in Christus nachzudenken.

Deutungen des Kreuzes

Versöhnung mit Gott wird oft in Zusammenhang mit dem Kreuzestod von Jesus gesehen. Sein Tod ist ein stellvertretendes Opfer, das Versöhnung schafft, ähnlich wie Israels Opfer im Alten Testament von Gott gegeben wurden, um Versöhnung zu ermöglichen.
Diese Deutung des Kreuzestodes von Jesus wird gegenwärtig in der Theologie stark hinterfragt. Zum einen wird die Rückfrage laut: Sollte Gott wirklich ein Opfer nötig haben oder verlangen, um zur Versöhnung bereit zu sein? Was ist das für ein Gottesverständnis?
Zum anderen wird – zu Recht – darauf hingewiesen: Der Tod von Jesus wird im Neuen Testament auf sehr verschiedene Weise gedeutet, und die Sühnopfer-Vorstellung ist dabei nur eine von vielen. Sie sollte – so die Schlussfolgerung – nicht zur einzigen oder gar verbindlichen Deutung gemacht werden.
Dieser zweiten Frage möchte ich in diesem Beitrag nachgehen. Die erste Frage wurde im Beitrag zu 2. Korinther 5 schon gestreift.

Nachträgliche Deutungen

Zunächst sollte man festhalten: Alle geistlichen bzw. theologischen Deutungen des Todes Jesu sind im NT nachträgliche Deutungen. Der Tod dessen, den man für den Messias hielt, kam so unerwartet und war so verstörend, dass niemand vorher sagen konnte, es musste so kommen und es hatte einen klar zutage liegenden Sinn. Dieser Sinn konnte erst im Nachhinein gefunden werden. Ich bin skeptisch gegenüber denen, für die das Geschehen letztlich ganz glatt lief, nach der Melodie: Es musste alles so kommen, denn Gott hatte alles ganz wunderbar geplant. Nein – es hätte auch von Gott aus alles anders kommen können und sollen: nämlich dass sein Volk auf den letzten gesandten Boten hörte – nach dem Gleichnis in Mt 21 („das ist mein Sohn, vor dem werden sie Respekt haben“, V. 37). Doch es lief schief – weil Menschen es so wollten, nicht weil es unbedingt so kommen musste. (Dass Gott dann daraus etwas unvergleichlich Heilbringendes machte, ist eine andere Geschichte ...)

Neues Testament: Der Weg der Vielfalt

Das Apostolische Glaubensbekenntnis schließt den Tod von Jesus ein – zu ihm bekennt sich also die ganze Christenheit. Er steht unbestritten im Zentrum des Glaubens. Doch das „warum“ oder „wozu“ bleibt in der Formulierung „gekreuzigt, gestorben und begraben“ letztlich offen. Das Apostolische Glaubensbekenntnis lässt damit einen großen Raum für die unterschiedlichsten Deutungen offen. Diesen Deutungsraum erreicht es im Grunde durch eine „Leerstelle“. Es sagt nichts Konkretes. Die „Vergebung der Sünden“ wird erst später genannt, ohne Zusammenhang mit dem Tod von Jesus.

Das Neue Testament geht in ganz bemerkenswerter und charakteristischer Weise den entgegengesetzten Weg. Auch das NT erreicht einen großen Deutungsraum, aber nicht durch eine Leerstelle, sondern im Gegenteil durch eine große Vielfalt, eine Vielstimmigkeit des Bekenntnisses. Diese Wesensart des NT muss man ernst nehmen und wertschätzen. Das NT geht den Weg einer „Theologie der Vielfalt“, einer „Theologie der Ergänzung“.

Zum Beispiel Lukas

Lukas in seinem Doppelwerk (Evangelium und Apostelgeschichte) ist dafür ein gutes Beispiel. Wenn man fragt, wie Lukas den Tod von Jesus deutet, dann bekommt man ein ganzes Bündel von Antworten. Theologen vermerken dies manchmal mit einer Art von Bedauern – als ob Lukas nicht so klar, nicht so präzise sei. Natürlich – Theologen lieben es, wenn eine These prägnant herausgearbeitet wird und nichts in der Schwebe bleibt. Diesem Bedürfnis kommt Lukas nun nicht entgegen. Aber seine spezielle Art, Jesus zu deuten, hat eben auch etwas zu sagen und hat ihren besonderen Stellenwert.
Lukas bietet folgende Deutungen des Todes von Jesus an (hier aufgeführt u.a. nach Eduard Schweizer, Theologische Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 1989):

‹› Die Heilsbedeutung des Todes von Jesus wird nicht klar benannt.
‹› Der charakteristische Satz vom Lösegeld, wie er bei Markus steht, fehlt: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“ (Mk 10,45)
‹› Jesus ist vielmehr „gekommen“, um zu suchen und zu retten (nicht ausdrücklich, um sich als Lösegeld zu geben).
‹› Der Abendmahlsbericht – bei anderen biblischen Autoren der Ort, wo Jesus erklärt, er werde sein Blut zur Vergebung der Sünden vergießen – betont bei Lukas eher Jesus als den Dienenden.
‹› Das Kelch-Wort beim Abendmahl ist bei Lukas eher mechanisch in den Text eingefügt – es ist nicht erkennbar, dass Lukas sich damit besonderes auseinandergesetzt hätte.
‹› Allerdings ist die Deutung, Jesus habe sich für „unsere Sünden“ hingegeben, bei Lukas ebenfalls vorhanden: Philippus nimmt in Apg 8 deutlich Bezug auf Jesaja 53, wo diese Deutung unübersehbar ist.
‹› Insgesamt gilt für Lukas: Jesu gesamtes Wirken, nicht nur sein Tod, ist der Dienst, wobei sein Tod besonders eingeschlossen ist.
‹› Lukas erzählt lieber die ganze Fülle Jesu als dass er sich für präzise Christus-Titel (z.B. Messias, Lamm Gottes, Menschensohn etc.) interessiert. (Einige Titel kommen vor, sind aber in keinen besonders aussagekräftigen Zusammenhang gestellt.)

Lukas ist also jemand, der nicht den Weg wählt, sich auf eine theologische Kern-Interpretation festzulegen. Er geht einen anderen Weg: den der inhaltlichen Vielfalt. Die einzelnen Aussagen, die er über Christus und seinen Auftrag macht, ergänzen sich.

Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament

Wenn wir den Blick weiten auf das gesamte Neue Testament, dann finden wir ein ähnliches Ergebnis: eine vielfältige Deutung des Todes von Jesus.

Folgende Deutungen sind „im Angebot“ – wobei die einzelnen Vorstellungen z.T. nahe beieinanderliegen, aber dennoch voneinander unterschieden werden können:

‹› Jesu Tod als Gericht über die Sünde der Welt
‹› Bezahlung der Schuld. Diese beiden Deutungen haben einen juristischen Vorstellungshintergrund.
‹› Sühnopfer für die Sünde der Welt. Diese Vorstellung hat einen kultischen (gottesdienstlichen) Hintergrund, nämlich das jüdische Opferwesen.
‹› Versöhnung der Welt mit Gott. Hier sind die menschlichen Beziehungen der Vorstellungshintergrund.
‹› Loskauf des Menschen aus der Sklaverei der Sünde und des Verderbens. Diese Vorstellung kommt vom Sklavenwesen her – eine Erfahrungswelt, die jedem damals vor Augen stand.
‹› Waschung. Vorstellungshintergrund: jüdische Reinheitsvorschriften im Alltag.
‹› Sieg über die Mächte – im Hintergrund steht die Vorstellung vom Kampf.
‹› Äußerste Erniedrigung als Solidarität mit dem menschlichen Leben sowie Gehorsam gegenüber Gott

Wir sehen: Das Neue Testament hat weit mehr zu sagen, als dass der Tod von Jesus nur ein Sühnopfer oder eine stellvertretende Schuld-Bezahlung wäre. Der Segen des Kreuzes ist so reich, dass er ein dickes Bündel an Ausdeutungen erfordert.

Theologie der Vielstimmigkeit

Was wir hier beobachten, ist kein theologischer Betriebsunfall oder ein Anzeichen, dass die frühen Christen ihre wichtigsten Gedanken nicht richtig auf die Reihe bekommen hätten. Sondern wir sind auf einen grundlegenden Wesenszug der Heiligen Schrift gestoßen: das Nachdenken durch Vielstimmigkeit, durch Addition der Gedanken.

Das zeigt sich schon im Alten Testament: Wir haben parallel laufende Geschichtsberichte, die Königs- und die Chronikbücher. Als ein späterer Autor die Geschichte Israels noch mal unter besonderen Gesichtspunkten erzählte – in den Chronikbüchern –, hat es niemand für nötig gehalten, die Königsbücher nun auszurangieren. Beide haben nebeneinander ihre Bedeutung. Wir Leser werden für mündig genug gehalten, mit dieser Mehrfachüberlieferung klarzukommen.
Zwei Schöpfungsberichte ergänzen sich in 1Mo 1-2.
Etliche Psalmen stehen mehrfach in der Bibel – ohne dass das als überflüssige Doppelung betrachtet worden wäre. Der Wortlaut ist fast exakt gleich, aber das eine Mal sind Psalmteile anders miteinander kombiniert, ein anderes Mal steht der Psalm an einer zweiten Stelle noch einmal, also in anderem Zusammenhang. Auch das ergibt eine größere Bedeutungsvielfalt.

Im NT ist es nicht anders. Die frühe Kirche des zweiten bis fünften Jahrhunderts hatte schon sehr bald das Bedürfnis, die vier Evangelienberichte miteinander zu harmonisieren, aber das NT selbst hat die vier Berichte einfach nebeneinander, miteinander überliefert. Die Wiederholungen stören nicht. Die Spannungen und Widersprüche offenbar auch nicht. So kommt eine Vielstimmigkeit zustande.
Ähnlich ist es mit den „Haustafeln“ im Epheser-, Kolosser- und 1. Petrusbrief. Oder der inhaltlichen Nähe zwischen dem 2. Petrus- und dem Judasbrief.

Präzise ist so etwas nicht. In manchen Themen führt es zu Unschärfen. Aber gerade diesen Weg gehen die Denker der Bibel und die sammelnden frühen Gemeinden. So entspricht es ja auch der rabbinischen Denkweise: Die Wahrheit wird hier im Gespräch gesucht. Meinung A steht gegen Meinung B. Rabbi C hat vielleicht dann eine gute Lösung gefunden, aber die Meinungen A und B werden im Talmud dennoch aufbewahrt. Auch das ist eine Theologie der Ergänzung und Vielstimmigkeit.

Wer auch immer den Wunsch hat, biblisch denken zu lernen oder sein geistliches Urteilsvermögen sowohl am Inhalt der Schrift als auch an ihrer Sprechweise auszurichten – der muss sich auf diese Theologie der vielstimmigen Ergänzung einlassen.

Keine Streichungen beim Kreuz

Bemerkenswert ist aber nun: Von den verschiedenen theologischen Deutungen der Heiligen Schrift wurde eben nicht das Unwichtige oder weniger Aussagekräftige weggestrichen. Im Laufe der Zeit hat sich kaum etwas verschmälert oder reduziert.

Genau diesen Weg gehen allerdings in der heutigen theologischen Diskussion einige, die sich mit dem Tod von Jesus auseinandersetzen. Nicht wenige vertreten ernsthaft die These, dass man die Sühnedeutung oder das stellvertretend Opfer von Jesus heute ausklammern sollte (weil es nicht mehr vermittelbar sei). Bekannt geworden ist die Formulierung von Klaus-Peter Jörns: „Notwendige Abschiede“. Damit ist der Abschied eben von der Sühnedeutung und dem Opfergedanken gemeint. Hier wird die biblisch vorgegebene Theologie der Vielstimmigkeit verlassen.

Man kann die Sühnedeutung des Todes von Jesus sehr wohl in den größeren biblischen Zusammenhang stellen. Man kann sie dadurch auch durchaus relativieren. Man kann festhalten, dass sie zu bestimmten Zeiten den Menschen nicht so viel zu sagen hat wie andere Deutungen des Todes Jesu. Wer das tut, hat das vielfache Zeugnis des Neuen Testaments auf auf seiner Seite.
Aber man kann dieses Zeugnis des NT nicht dafür in Anspruch nehmen, sich von bestimmten theologischen Deutungen zu verabschieden. Damit wäre alles geradezu auf den Kopf gestellt. Denn das NT geht gerade den gegenteiligen Weg.

Der Segen der Vielstimmigkeit

In der gegenseitigen Ergänzung der biblischen Texte liegt eine große Weisheit, eine Kraft und ein tiefer Segen. Wenn die Bibel ihr Zeugnis in seinem ganzen Reichtum überliefert, kann jede Generation und jede zeitgeschichtliche Situation sich gerade von den Texten ansprechen lassen, die jetzt besonders bedeutungsvoll sind. Jede Zeit, jede Epoche hat ihre speziellen Herausforderungen – und damit auch ihre besonderen Texte, die hell leuchten. Gleichzeitig sind dann andere Texte eher im Schatten. Das ist völlig normal, dagegen ist nichts einzuwenden.
Zum Beispiel hat das Buch der Offenbarung immer seine besonderen Zeiten gehabt, in denen es wichtig war. Zu anderen Zeiten hat man es eher überblättert.
Allerdings gab es auch fast immer Leute, die dieses Buch gern ganz aus der Bibel aussortiert hätten. (Luther hätte auch den Jakobusbrief gern draußen gehabt.) Was wäre geschehen, wenn die Kirche das zugelassen hätte? Dann wäre die biblische Vielstimmigkeit ärmer geworden. Und nachfolgenden Generationen wäre die Möglichkeit geraubt worden, dass dieses Buch in einer aktuellen Situation womöglich wieder laut zu ihnen sprechen kann.

Der Weg des Aussortierens ist an dieser Stelle ein Holzweg.
Wenn bestimmte Aussagen zu bestimmten Zeiten nicht so relevant erscheinen, nicht so deutlich zu sprechen scheinen, dann ist es das beste, respektvoll weiterzublättern. Achtung davor zu haben, dass diese Texte aber als Gottes Wort bereits gesprochen haben und später wieder sprechen werden. Und ab und zu nachzusehen, ob man diese Texte etwa schon ganz vergessen hat – oder ob man ihnen mittlerweile nicht doch etwas ablauschen kann.

Komplette „Abschiede“ aber sind nicht nur unnötig, sie sind auch unklug. Sie sind nicht nachhaltig im Blick auf die Zukunft.

Das gilt nicht nur, aber auch für die Sühne- und Opferdeutung des Todes von Jesus.

Vielfalt mit einer Mitte

Die Sühne- und Opferdeutung des Todes Jesu ist also ein Klang unter vielen in der „Musik“ des Neuen Testaments. Ein Strang im reichhaltigen Aussagebündel.

Dennoch nimmt gerade diese Deutung eine gewissen Sonderstellung ein, die andere Deutungen des Todes Jesu so nicht haben. Ich halte die Sühnedeutung für sehr zentral.
Das ist zum einen an der Quantität zu erkennen: Diese Deutung wird doch von recht vielen Schriften des neuen Testaments vertreten.
Zum anderen meine ich, diese Deutung habe eine besondere Qualität: Sie steht am Anfang und in der Mitte der Glaubensüberlieferung.

Am Anfang: in 1Kor 15,1-3 überliefert Paulus ein Glaubensbekenntnis, das anerkanntermaßen sehr alt ist und längst vor Paulus in den Gemeinde in Gebrauch war. Hier wird u.a. bekannt: „dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift.“ Der Tod Jesu hat also ein Ziel – „für“ – und einen Deutungsrahmen: „nach der Schrift“. Welche Schriftstelle ist gemeint?
Es muss eine sein, in der das Ziel des Todes von Gottes Gesandten deutlich wird. Zwar gibt es eine Reihe von Schriftstellen, die vom Tode eines Gottgesandten reden (z.B. Dan 9,26; Sach 12,10), aber nur einen Zusammenhang, der ein Ziel, eine „Für“-Bedeutung des Todes angibt: Jesaja 53. Dies muss der Bezugs-Text für das alte christliche Glaubensbekenntnis sein. Damit aber ist klar: Die Sühnedeutung von Jes 53,4-6.10 war präsent von Anfang an in der Christenheit und war durchgehend verbreitet. Sie steht im Zentrum.
Im Zentrum stand sie auch jede Woche (oder öfter) im urchristlichen Gottesdienst. Denn in dessen Mitte stand das Herrenmahl. Das kann man heute noch ablesen an den Kapiteln 11-14 des 1.Korintherbriefs. Die Fragen, die Paulus hier behandelt, spiegeln ziemlich genau den Ablauf des Gottesdienstes wider, wie einige Bibelausleger sehr überzeugend herausgestellt haben. In der Mitte also das Mahl und in dessen Mitte das „Deutewort“: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird ...“ Für! Also stellvertretend. „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut“. Das Blut in Zusammenhang mit Bund hat vom AT her Opferbedeutung.

So reich die neutestamentliche Verkündigung also auch ist, so vielfältig die Deutungen des Kreuzes: Die Sühnedeutung bildet die Mitte der Vielfalt. Von ihr kann man also nur sehr sehr eingeschränkt sagen: Das stellen wir heute an den Rand, weil uns die anderen Deutungen heute, in unserer Zeit, mehr ansprechen. Dieser Schritt will wohl überlegt sein und man muss wissen, was man da tut.

Fazit

Zweierlei müsste man neu in den Blick bekommen: Die „Theologie der Ergänzung“ als ein biblisches Grundmuster. Und die Sühne- und Opferdeutung des Kreuzes. Sie ist längt nicht die einzige Verstehensmöglichkeit. Aber dennoch keine verzichtbare Variante. Die Vielfalt hat eine unaufgebbare Mitte.

Sonntag, 8. April 2012

Das Ziel von Gottes Plänen


Das Ziel von Gottes Plänen beschreibt Paulus in Kol 1,19-20 folgendermaßen:

„Denn es hat Gott wohlgefallen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte und er durch ihn alles mit sich versöhnte, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.“

Alles soll mit Gott versöhnt sein. Man kann auch übersetzen: Das All soll mit Gott versöhnt sein. Das klingt sehr universal – als ob auch das Universum mit gemeint sein könnte.
Wir begegnen hier Bekenntnis-Aussagen, die schon aus 2Kor 5 bekannt sind: Gott hat bereits die Versöhnung gestiftet (Christus hat Frieden gemacht). Nicht Gott musste sich versöhnen, sondern die Welt (Hier im Kolosserbrief: „alles“) musste sich mit Gott versöhnen bzw. mit Gott versöhnt werden. Und: Der Weg zu dieser Versöhnung ist klar definiert; er geht über Christus und sein Kreuz.

Deutungen des Kreuzes
Das Kreuzesverständnis im Kolosserbrief setzt dabei andere Akzente als der 2. Korintherbrief. Dort haben wir eine Stellvertretungs-Christologie gefunden. In Kol 2,14-15 drückt Paulus es anders aus. Es verbinden sich zwei Vorstellungen: a) das Kreuz als Ort, an dem die Schuld bezahlt wurde. Der Schuldschein ist ans kreuz geheftet – dorthin, wo das Vergehen des Hingerichteten angezeigt wurde. Der Gekreuzigte wurde also für „unsere“ Schuld hingerichtet. b) Dieses Geschehen ist ein Sieg und Triumph Gottes. „Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.“ Das ist bemerkenswert: Der Moment größter Qual und Erniedrigung ist zugleich der große Sieg und die völlige Überlegenheit von Christus.
Dem Kolosserbrief reicht an dieser Stelle also nicht eine einzige geistliche Deutung des Kreuzes von Christus aus. ER verbindet zwei Deutungen. Die Erfahrung, dass Gottes Sohn am Kreuz starb, ist zu reich, als dass man sie mit nur einer einzigen Vorstellung ausreichend erfassen könnte. Jedoch fehlt auch im Kolosserbrief die Stellvertretungs-Christologie nicht völlig.


Gottes Plan A
Eine solche Allversöhnung ist also Gottes erklärte Absicht. Für dieses Ziel hat er die ganze Welt geschaffen. Für dieses ziel hat er den höchsten denkbaren Preis bezahlt, nämlich seinen Sohn hingegeben. Es wäre kaum vorstellbar, dass das umsonst gewesen sein sollte. Diese Allversöhnung ist Gottes Plan A.

In dem theologischen Vortrag, den ich vor einigen Wochen hörte, war gerade diese Schriftstelle ein Hauptbeleg des Referenten: Alles ist auf Christus hin geschaffen (kol 1,16). In ihm also sollen sich alle Linien der Geshcihte einmal bündeln. Nichts anderes will Gott.

Nun ist der Satz aus Kol 1,20 ja eine Absichtserklärung. Keine Voraussage – „es wird so sein“ –, sondern ein „Damit“-Satz: „Damit es so kommen wird“. Daraus ergibt sich die Frage: Wird sich dieser Wille Gottes erfüllen? Kommt Gott mit allem, was er will, zum Ziel?
Wie ist es an anderen Stellen in der Schrift? Kommen Gottes Pläne immer zum Ziel?

Seitenblick in den Epheserbrief

Der Epheserbrief ist mit dem Kolosserbrief eng verwandt. Im ersten Kapitel dort zeigt Paulus die Grundabsichten Gottes auf. Unter anderem nennt er: „Er hat uns ja das Geheimnis seines Willens zu erkennen gegeben … alles zusammenzufassen in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist - in ihm.“ (Eph 1,9-10) Das klingt recht ähnlich wie im Kolosserbrief. Eine weitere Absicht Gottes ist: „damit wir etwas seien zum Lob seiner Herrlichkeit.“ (Eph 1,12)
Wird diese Absicht eintreffen – werden alle Glaubenden „etwas sein zum Lob von Gottes Herrlichkeit“? Paulus erweckt nicht den Eindruck, als stünde dieser Plan Gottes auf der Kippe. Er schreibt mit großer Zuversicht. Dennoch zeigt der Epheserbrief, dass einzelne sich dieser Absicht Gottes entziehen können. Deshalb mahnt Paulus die Gemeinde ernsthaft. In Eph 5,5 sagt er klar, dass Menschen, die sich nicht in ihrem Leben von Gott prägen lassen, keinen Anteil am Reich Gottes haben werden. Sie sind dann also nicht „etwas zum Lob seiner Herrlichkeit“. Der Grundklang des Briefes bleibt: Zuversicht. Aber die Absicht Gottes ist dennoch kein Selbstgänger. Die negative Möglichkeit, dass einzelne Gottes Absichten verpassen, bleibt am Rande bestehen.
Gott kommt demnach mit seinem Plan – den er teuer bezahlt hat – nicht überall zum Ziel. Unserer Vorstellung von der Allmacht Gottes widerstrebt das vermutlich. Aber Gott ist offenbar keiner, der seinen Plan A gegen alle Widerstände durchsetzt.

Seitenblick ins Lukasevangelium

Das Gleichnis vom Vater und seinen beiden Söhnen (Lk 15) lässt die Leidenschaft des Vaters deutlich erkennen: Er will beide Söhne bei sich zu Hause haben, und zwar nicht nur im Haus, sondern in seiner Nähe, in vertrautem Umgang mit ihm. Keinem der beiden Söhne zwingt er diesen Plan auf. Der jüngere Sohn erfüllt schließlich die Absicht des Vaters – aus freien Stücken. Der ältere auch? Im Verlauf des Gleichnisses nicht. Der Vater lädt ihn dringlich ein. Aber dann endet das Gleichnis. Ist es nicht sehr bezeichnend, dass Jesus das Ende offen lässt? Liegt darin nicht eine bedeutsame theologische Aussage, nämlich: Es bleibt eben offen, ob der ältere Sohn auch zum Vater heimkehrt? Niemand kann das ausschließen. Und niemand kann logisch zwingend beweisen, dass es so sein wird – dass er heimkehren wird, dass die Liebe des Vaters ihn so überwinden wird, dass er ihr schließlich folgt.
Das Bild des Vaters, das Jesus zeichnet, ist allerdings eindeutig: Er zwingt keinen. Er hat seinen „Plan A“, aber ist bereit, sich darauf einzulassen, dass dieser Plan nicht zum Ziel kommt und er auf einen „Plan B“ umschwenken muss.

Zurück zum Kolosserbrief

Auch in Kolosser 1, unserem Ausgangspunkt, bleibt der Absichtssatz nicht mehr als ein Absichtssatz. Er wird nicht zum Zukunftssatz, zur festen Vorankündigung: „Denn es hat Gott wohlgefallen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte und er durch ihn alles mit sich versöhnte ...“
Wird sich das erfüllen? In V. 22 betont Paulus, dass die Versöhnung „für euch“ (die Christen in Kolossä“ eine gegebene Tatsache ist. Aus ihr folgt die Möglichkeit, dass sie heilig in Gottes Gegenwart sein können. Dann aber (V. 23) fügt Paulus eine Bedingung an: „sofern ihr im Glauben gegründet und fest bleibt und euch nicht abbringen lasst von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt, das in der ganzen Schöpfung unter dem Himmel gepredigt worden ist ...“
Unter dieser Bedingung kommen Gottes Pläne zum Ziel. Unter dieser Bedingung erfüllt sich Gottes Absicht der Allversöhnung.

Das erste Kapitel des Kolosserbriefs ist ein biblischer Hauptbeleg für die verschiedenen Allversöhnungslehren. In diesem ganzen Kapitel aber, vollständig gelesen, kann ich nicht erkennen, dass am Ende der Zeiten einmal jeder einzelne von Gott angenommen wird. Oder besser gesagt: Dass sich jeder einzelne einmal von Gott wird annehmen lassen.

Sonntag, 1. April 2012

Versöhnung für alle

Ist Versöhnung mit Gott eine Gabe für nur einige auserwählte Menschen? Oder für viele auserwählte Menschen, aber jedenfalls nicht für alle? Oder eben doch – werden alle Menschen mit Gott versöhnt sein?

Die Antwort von Paulus in 2. Korinther 5 ist sehr eindeutig: Versöhnung ist für alle da, für die ganze Welt. Niemand ist ausgenommen.
„... das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. “ (2Kor 5,18-19)

Das ist die biblische Allversöhnungslehre: Die Welt ist mit Gott versöhnt. Seitdem ist alles anders geworden. Jeder Mensch, der lebt, ist jemand, an dem Gott bereits gehandelt hat.

Daraus sind einige Schlussfolgerungen zu ziehen:

1. Diese Welt hat eine Geschichte mit Gott, ob sie es weiß oder nicht. Gott hat eingegriffen und in der Welt und an der Welt gehandelt.

2. Versöhnung heißt nicht: Gott war in seiner Ehre gekränkt oder in seinem Herrschaftsbereich so getroffen, dass er zornig wurde und deshalb versöhnt werden musste oder sich dann wieder versöhnt hat. Gott hat nicht sich mit der Welt versöhnt, sondern die Welt mit sich versöhnt. Von Gottes Zorn redet die Schrift zwar oft und darüber ist noch intensiv nachzudenken. Aber fest steht: Nicht Gott musste versöhnt werden, sondern die Welt – wir.
Damit entfallen alle Einwände gegen eine Versöhnungslehre, die besagen: Was ist das für ein kleiner oder kleinlicher Gott, den man so empfindlich treffen kann, beleidigen kann und dessen Zorn dann durch Versöhnungsleistungen gestillt werden muss. Versöhnung als Leistung an Gott – das sagt Paulus gerade nicht. Ein solcher „kleinlicher“ Gott ist nicht der Gott der Bibel. Hier sollte man nicht mit falschen Gottesvorstellungen arbeiten.
Gottes Zorn kann ohnehin nicht durch Menschen gestillt werden. Gottes Zorn ist eine Realität, aber eine, mit der nur er selbst klar kommen kann. Doch davon muss ein anderes mal gehandelt werden.
Bei Paulus ist es eindeutig: Gott wurde nicht versöhnt, Gott hat versöhnt.

3. Die Welt ist durch Christus mit Gott versöhnt. An ihm vorbei weiß Paulus nicht von Versöhnung zu reden. Es ist also nicht so, dass man mit einem allgemeinen Gottesbegriff argumentieren kann: Gott ist Liebe und als Liebe könne er nicht dauerhaft zornig sein oder dauerhaft den Menschen ihre Verfehlungen anrechnen – das ginge nicht, weil es sich nicht mit der Liebe vertrage. – Dies ist ein Gedankengang, der ohne Christus auskommt – und der als Voraussetzung eben einen allgemeinen Gottesbegriff hat. Hier scheint eher ein „Prinzip Liebe“ zugrunde zu liegen als ein lebendiger Gott.
Paulus kennt die – recht verstandene – „Allversöhnung“ der Welt, aber die ist zentral verankert in Christus.

4. Die Versöhnung hat eine Begründung – signalisiert durch „denn“ in 2Kor 5,21: Christus ist zur Sünde geworden, hat sich mit ihr geradezu identifiziert (so wie Paulus im Galaterbrief sagen kann. Christus sei für uns ein Fluch geworden), und wir werden (verwandelt) zur Gerechtigkeit, die vor Gott gilt – und zwar „in Christus“. Was Paulus hier schreibt, hat die Kirche später mit der Formel vom „admirabile commercium“, vom „wunderbaren Tausch“ bezeichnet. Christus und wir tauschen die Rollen – er wird zur Sünde, wir zur Gerechtigkeit.
Dahinter steht die Vorstellung von der Stellvertretung. Die Rettung kommt von außen, nicht aus uns selbst, „extra nos“, wie die kirchliche Formel dafür lautet. Dass ein Stellvertreter nötig ist, zeigt damit zugleich, dass wir Menschen komplett unzureichend sind, um Versöhnung zu bewirken.
Aus den verschiedenen möglichen Deutungen des Lebens und Sterbens von Jesus ist hier bei Paulus also eine bestimmte besonders herausgegriffen und wichtig: die Stellvertretungs-Christologie. Dass Christus für uns zur Sünde gemacht wurde (2Kor 5,21), ist nicht denkbar ohne den Zusammenhang mit dem Tod von Jesus: „Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift.“ (1Kor 15,3). In dieser Deutung des Todes von Jesus spitzt sich die Versöhnungslehre des 2. Korintherbriefs zu.

5. Ist die Welt nun also mit Gott versöhnt? Von Gott aus ja. Aber das Faktum, das Gott geschaffen hat, ersetzt nicht die Zustimmung der Versöhnten. „So bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2Kor 5,20) An der Welt ist etwas geschehen, aber sie muss es nun auch an sich geschehen lassen. Sonst gleicht sie dem mit dem Fallschirm abgesprungen Soldaten, der auf einer Pazifikinsel gelandet ist, nicht mitbekam, das der Krieg zu Ende ging und sich immer noch in Verteidigungsgräben eingräbt und auf jeden Boten schießt, der vom Feind zu kommen scheint.

6. Die Welt ist versöhnt, aber auf einem bestimmten Weg. Zwei Möglichkeiten sehe ich, diese Versöhnung zu verpassen: entweder ihr nicht zustimmen und mit Gott keinen Frieden schließen wollen; oder Versöhnung zwar wollen, aber nicht auf dem Weg des „wunderbaren Tauschs“, sondern an Christus vorbei.

Damit ist noch längst nicht alles betrachtet, was Paulus zur Allversöhnung sagt. In einem folgenden Beitrag muss es um Kolosser 1,20 gehen. Fortsetzung folgt.