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Donnerstag, 18. Mai 2023

Warum Ostern Pfingsten braucht

 Die Auferstehung von Jesus ist für Christen das einzigartige, entscheidende Datum der Weltgeschichte. Von Anfang an sagten sie diese Botschaft weiter. In den ersten Wochen bestätigte Christus diese Botschaft, indem er einigen seiner Jünger körperlich erschien. Seitdem geht diese Nachricht um die Welt.

Die Strategie Gottes, um die Botschaft von Christus durchzusetzen, ist aber eine eigenartige. Warum hat er sich dafür entschieden, dass Christus nur seinen Jüngern erschien? Wie wirkungsvoll wäre es gewesen, wenn er auch den Hohepriestern, Pharisäern und Schriftgelehrten erschienen wäre! Hätten sie sich dann dem Messiasanspruch noch wirklich entziehen können? Wie anfechtbar war dagegen die Predigt der Apostel, weil sie die Auferstehung nur behaupten und bezeugen konnten! Seltsamerweise fragte damals niemand (zumindest ist es uns nicht überliefert): „Wenn der Nazarener auferstanden ist — wo ist der denn? Zeigt ihn uns doch.“ Einige der ersten Apostel-Predigten deuten zwar auch die Himmelfahrt an — aber ziemlich verklausuliert. Hat das damals jemand in seiner Bedeutung erfassen können?

Anfechtbare Botschaft, dünner Faden

Nach menschlichen Maßstäben war die erste christliche Verkündigung also ziemlich geschwächt: Man soll an einen Gekreuzigten glauben? Das ist widersinnig, er ist doch öffentlich widerlegt; Gott hat ihm nicht geholfen, also muss er ihn verworfen haben. An einen Auferstandenen? Warum sieht man nichts von ihm? Oder an einen in den Himmel Aufgenommenen? Wie soll das geschehen sein? Oder meinen die Apostel etwa, er sei nach seinem Kreuzestod direkt in den „Himmel“, in Gottes Gegenwart gekommen? Dann hat es ja wohl keine Auferstehung gebraucht.

Die ganze christliche Botschaft hängt nur an einem dünnen Faden: der Verkündigung der Apostel. Oder könnte man sie noch weiter absichern?

Nehmen wir eine zusammenfassende Formel aus dem 1. Timotheusbrief hinzu:

„Wahrhaftig, groß ist das Geheimnis unserer Frömmigkeit: Er wurde offenbart im Fleisch, gerechtfertigt durch den Geist, geschaut von den Engeln, verkündet unter den Völkern, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit“ (1Tim 3,16).

Offenbart wurde Jesus als irdischer Mensch — nicht als Auferstandener. Geschaut wurde er (nach seiner Rechtfertigung im Geist, also nach der Auferweckung) von den Engeln, nicht von den Menschen. Unter den Völkern wurde er verkündigt; erschienen ist er ihnen nicht. Auf diese Weise wurde er in der Welt geglaubt: nur aufgrund der Verkündigung. Da ist er wieder, dieser dünne Faden.

In die Botschaft auferstanden?

In der Theologie des 20. Jahrhunderts hat sich die Auffassung herausgebildet, dass Jesus (nur) in das Kerygma auferstanden sei, also nur in die Verkündigung hinein. Das kann man auf zweierlei Weise verstehen: a) Jesus ist gar nicht körperlich auferstanden, das Grab war nicht leer, er wird nur durch die Verkündigung der Kirche am Leben gehalten. b) Jesus ist zwar körperlich auferstanden und wurde dann in den Himmel aufgenommen, doch dafür gibt es nur Zeugenaussagen, keine Beweise. Also ist es die Botschaft, die den Glauben an ihn weckt (oder auch nicht). Unter diesem Vorzeichen wäre es nicht falsch zu sagen: Jesus ist in die Verkündigung hinein auferstanden.

Wie kommt es dann, dass die Predigten der Apostel so durchsetzungsfähig waren? An einigen Stellen geben sie ja zu, dass Jesus nur seinen Anhängern erschienen ist und dass für die anderen nur die Verkündigung bleibt (Apg 10,40-43; 13,31-32).

Doppelte Beglaubigung

Die ersten Predigten der Apostel beantworteten Fragen, die unübersehbar in der Luft lagen, sie knüpften jeweils an ein übernatürliches Geschehen an: die Ausgießung des Heiligen Geistes oder eine Krankenheilung. Das war nicht nur am Anfang in Jerusalem so, sondern auch später, z.B. bei Paulus (Gal 3,5). Noch zu seiner Zeit auf der Erde sprach Jesus von den „mitfolgenden Zeichen“. Die Auferstehung wird also doppelt bezeugt: von der Aussage der Apostel und — in Form von Kraftwirkungen — von Gott selbst. Ja, die Botschaft hängt nur an dem dünnen Faden der Verkündigung, doch es kommt darauf an, was das für eine Verkündigung ist. Dem Neuen Testament zufolge ist es eine Verkündung, die im Normalfall von Zeichen bzw. Kraftwirkungen begleitet wird. Und wenn sie das ist, dann ist der Faden doch nicht so dünn, wie er zunächst erscheint. Der Heilige Geist bestätigt den Auferstandenen — ist vielleicht auch dies mit dem Ausdruck „gerechtfertigt im Geist“ (1Tim 3,16) gemeint?

Die Auferstehung und ihre Botschaft ist also notwendig auf den Heiligen Geist angewiesen. Ostern braucht Pfingsten.

Die Ereignisse des Heils gehören notwendig zusammen

Das ist eine Verbindung, die im Licht des Neuen Testaments gar nicht so ungewöhnlich ist. Wir beobachten ja auch, dass der Karfreitag Ostern braucht, d.h. dass der Kreuzestod von Jesus ohne die Auferstehung gar keine Wirkung hat. Das Sühne- und Versöhnungsgeschehen wird erst durch die Auferstehung in Kraft gesetzt: „Wegen unserer Verfehlungen wurde er hingegeben, wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt“ (Röm 4,25). „Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos, und ihr seid immer noch in euren Sünden“ (1Kor 15,17). So wie also Karfreitag Ostern braucht, so braucht Ostern Pfingsten.

Schlussfolgerung

Für mich ist eine unabweisbare Folge dieser Überlegungen, dass ich anders für Predigt und Verkündigung beten will und werde. Ich werde häufiger und konsequenter dafür beten, dass Gott selbst als Zeuge für seine Botschaft auftritt. Einerseits, indem er das Wunder tut und Glauben in den Herzen weckt (Apg 16,14), und andererseits, indem er sicht- oder spürbare Zeichen schenkt, die die Predigten begleiten. Unter diesem Erwartungshorizont möchte ich nicht mehr bleiben.