Seitenübersicht

Sonntag, 22. April 2012

Jesus – „Dieser nimmt die Sünder an!“


„Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen!“ (Lukas 15,1). Das hat man damals über Jesus gesagt. Kaum etwas ist so typisch für Jesus wie seine Zuwendung zu denen, die glaubensmäßig untauglich erschienen. Er hat besonders ihnen den Weg in Gottes Königsherrschaft geöffnet.

Wenn Jesus niemanden ausschloss und sagte: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinaus stoßen“ (Joh 6,37) – ist nicht gerade Jesus dann der Beweis, dass Gott am Ende alle annehmen wird? Wenn Jesus das zuverlässigste Spiegelbild Gottes ist, kann der Gedanke dann überhaupt noch möglich sein, dass Gottes Gericht am Ende einen doppelten Ausgang hat, mit Annahme und Verwerfung?

Hier kommt alles darauf an, von „welchem“ Jesus wir sprechen. Es gibt den Jesus, dessen Bild man unwillkürlich auf wenige Verhaltensweisen und Werte reduziert. Der „liebe Heiland“, der nichts Böses will. Und diese Redeweise vom „lieben Heiland“ darf ja tatsächlich nicht zur Karikatur werden! Heiland heißt Retter, und lieb heißt in diesem Fall: liebend. Jesus ist und bleibt der liebender Retter. Der Spruch vom „lieben Heiland“ hat einen richtigen Kern.

Aber Jesus ist ja keine eindimensionale Person. Jesus ist vieles – unter anderem auch Prophet in der Tradition alttestamentlicher Propheten.

Jesus als Prophet

Und nun muss man zugeben, dass in der Verkündigung von Jesus sich durchaus viele Worte finden, die von einem doppelten Ausgang des Gerichts sprechen. Das ist schroff. Aber Jesus, der liebende Retter, ist eben zugleich auch schroff, wie ein alttestamentlicher Prophet.
Die Gleichnisse vom Reich Gottes gehören anerkanntermaßen zum Kern von Jesu Botschaft (Matthäus 13; Markus 4). Gerade hier ist immer wieder von der Möglichkeit die Rede, dass Gott am Ende richtet und trennt und dass dann auch welche verloren gehen – wie Spreu, wie Unkraut, wie unnütze Fische. Der liebende Retter Jesus nimmt die Sünder an und wer zu ihm kommt, den wird er nicht hinaus stoßen. Aber das Gegenteil ist nicht weniger betont: Wer nicht zu ihm kommt, denn muss er gar nicht mehr hinaus stoßen, denn er hat sich selbst ja schon nach draußen gestellt – und dort wird Jesus ihn auch lassen, wenn denn in seinen Gleichnissen z.B. vom Unkraut unter dem Weizen und vom Fischnetz (Mt 13) Wahrheit enthalten ist.

Hier müsste man über einen möglichen Einwand sprechen. Jesus redet in der Tradition der alttestamentlichen Propheten und die haben vielfach Gottes Gericht angesagt. Aber fast immer waren das – z.B. bei Jesaja oder Amos – doch Rufe zur Umkehr. Gott hat hier nicht die starr verlegten Gleise in die Ewigkeit beschreiben lassen. Sondern er hat die Botschaft vom Gericht und der Verwerfung in Auftrag gegeben, damit die Hörerinnen und Hörer umkehren und gerade nicht im Gericht scheitern und verworfen werden.
Sind die Gleichnisse von Jesus nicht Ähnliches? Ernste Warnrufe, die aufrütteln wollen, damit das angekündigte Unheil gerade nicht eintritt?

Das könnte so sein. Vielleicht (!) wollte Jesus einen Satz wie Matthäus 13,49-50 noch nicht als Gottes letztes Wort verstanden wissen. Vielleicht.
Aber auch hier müssen wir genauer hinsehen.

Bußrufer  und Apokalyptiker

Die alttestamentlichen Propheten kann man – grob – in zwei Gruppen einteilen: Diejenigen, die ihre Zeitgenossen in der Gegenwart zur Umkehr rufen, und die anderen, die Endzeitvorhersagen machen. Diese Endzeitpropheten gehören zu der Sorte der „apokalyptischen Prophetie“. Die haben eher über mehr oder wenige festgelegte Zukunfts-Szenarien gesprochen. Bei denen geht es um die Endzeit. Aber die andere Gruppe von Propheten wollte das eben nicht, sondern es waren „Buß-Propheten“; Umkehrrufer für ihre Zeitgenossen.
Wenn Jesus also ein Prophet der „ersten Sorte“ war, wie z.B. Jesaja, dann wollte er vielleicht doch keine endgültigen Aussagen über dass Endgericht machen?

Jedoch verbinden sich bei einzelnen Propheten beide Sorten von Prophetie. Mitten im Jesajabuch findet sich die sogenannte „Jesaja-Apokalypse“ (Kapitel 24 bis 27). Die historisch-kritische Theologie mag diese Kapitel dem Jesaja der vorhergehenden Kapitel absprechen und meinen, in dieser Apokalypse käme ein ganz anderer Prophet zu Wort. Nun, selbst wenn – bei Jesus ist es unbestreitbar, dass er beide Sorten von Prophetie verbindet: den Umkehrruf an seine Zeitgenossen und die apokalyptische Prophetie (unübersehbar in Mt 24-25 und Mk 13 und Lk 21).

Die Worte von doppelten Ausgang des Gerichtes Gottes finden sich bei Jesus nun nicht allein in den Reich-Gottes-Gleichnissen (erste Sorte von Prophetie), sondern auch in seinen apokalyptischen Worten, z.B. in Mt 24,40-41.

Das Maß aller Dinge, das Maß allen Denkens

Christliche Theologie hat – wenn sie denn christlich ist – in Christus ihr Maß. „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“ (These 1 der Barmer Theologischen Erklärung)
In der Frage nach Gottes Gericht und der Versöhnung am Ende ist Jesus Christus ebenfalls das Maß aller Dinge.

Er ist der liebevolle Retter, der niemanden hinaus stößt, der zu ihm kommt. Aber damit ist gerade der präzise Ort genannt, wo Rettung zugänglich ist: „zu ihm kommen.“

Wer diesen Weg willentlich nicht wählt, der muss sich mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass Gottes Gericht am Ende eine doppelten Ausgang hat: Er nimmt die an, die sich auf Jesus verlassen, und akzeptiert die Ablegung derer, die das nicht
tun wollen.

Auch von Jesus her ist eine Allversöhnung nicht gut zu begründen.