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Dienstag, 29. November 2011

Tempelreparatur


Wenn unser Körper ein Tempel des Heiligen Geistes ist (1. Korinther 3,16) – dann müsste doch jede medizinische Behandlung eine Art Tempelreparatur sein. Und wenn das stimmt und eine Wahrheit aus Gottes Sicht enthält – müsste dann nicht der Gedanke daran etwas Gelassenheit spenden während eines Eingriffs? Immerhin geht es ja dann um Gottes Sache, um seinen Tempel.
Ich habe es heute ausprobiert während einer neunzigminütigen lokal betäubten Kieferoperation. Ergebnis: Für manche Momente war es gut, die Gedanken auf dieses Bibelwort zu konzentrieren. Meist aber waren andere Eindrücke stärker, die auf mich einströmten: Geräusche, Gepieke …
Trotzdem ist es ja richtig: Gott hat mich mitsamt und als Körper geschaffen und kümmert sich dann auch drum. Sowieso sind ja alle Haare auf meinem Kopf gezählt (Lukas 12,7).
Ich werde jedenfalls weiter daran festhalten, mich in kritischen Situationen an Schriftworten zu verankern. Es zumindest zu versuchen. Das wird nicht immer alles anders machen – aber doch besser als ohne diese Versuche.

Freitag, 18. November 2011

Multiplikation der Dankbarkeit


Diese Woche: Verlagskonferenz mit etlichen Diskussionen über Öffentlichkeitsarbeit, Werbung, Gewinnung neuer Leser, Präsenz in Facebook … Um wahrgenommen zu werden, um Leser/innen zu gewinnen, um Wirkung zu hinterlassen, muss man mächtig trommeln. Für unseren Verlag ist das, weil es um relevante und hochwertige Inhalte geht, auch völlig okay.

Mitten in diese Tagung hinein kommt eine sms mit der Nachricht: Eine alte Freundin ist gestorben, mit über achtzig. Ich weiß sofort: Die Trauerfeier, die nächste Woche stattfinden wird, wird wie ein Staatsbegräbnis sein.Ich sehe die überfüllte Kirche vor mir mit hunderten von Trauergästen, angereist aus allen Winkeln der Republik.

C. T., von der wir Abschied nehmen müssen, hat nie eine Öffentlichkeit gesucht. Von ihr stand nie in einer Zeitschrift zu lesen, sie hat weder Homepage noch Facebook-account gehabt. Ihr Lebensmittelpunkt war ihre Dreizimmerwohnung. So lange sie konnte, ging sie außerdem zum Gottesdienst. Viel größer war ihr Radius nicht.

Und doch hat sie unzählige Menschen erreicht – tiefgründig. Sie hat sie nachhaltig geprägt. Früher, indem sie die „Sonntagsschul-Tante“ für Generationen war. Später als Zuhörerin, Ratgeberin, Beterin. (Und beim Abschied auch Schokolade- und Geldschein-Zusteckerin.) Man kam zu ihr und zu ihrer Schwester. Auf ihrer „Freundesliste“ zu sein war um ein Vielfaches wirkungsvoller als jede heutige community-Freundschaft.

Was zählt am Ende eines Lebens?
Was war ihr Geheimnis?

Sie hat das wirkt, was Paulus im 2. Korintherbrief so beschreibt:

„Und wenn Gottes Gnade immer mehr Menschen zu Christus führt, wird auch der Chor derer, die ihm danken, immer lauter, und Gott wird immer mehr Ehre erwiesen.“ (4,15)

C. T. zieht eine Spur hinter sich her: die zu ihren Lebzeiten immer mehr wachsende Menge derer, die Gott danken, weil sie uns mit ihm irgendwie in Berührung gebracht hat.

Lange Zeit strotzte sie vor Vitalität. In den letzten Jahren ihres Lebens war sie gesundheitlich stark eingeschränkt. Die Gedanken von Paulus, in die er seinen Satz aus 2. Korinther 4,15 eingebettet hat, sind wie ein Nachruf auf C. T., wenn man sie aus ihrer Sicht gesprochen liest:

„Doch diesen kostbaren Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen, nämlich in unseren schwachen Körpern. So kann jeder sehen, dass unsere Kraft ganz von Gott kommt und nicht unsere eigene ist. Von allen Seiten werden wir von Schwierigkeiten bedrängt, aber nicht erdrückt. Wir sind ratlos, aber wir verzweifeln nicht. Wir werden verfolgt, aber Gott lässt uns nie im Stich. Wir werden zu Boden geworfen, aber wir stehen wieder auf und machen weiter. Durch das Leiden erfahren wir am eigenen Leib ständig den Tod von Christus, damit auch sein Leben an unserem Körper sichtbar wird. Es ist wahr: Weil wir Jesus dienen, leben wir in ständiger Todesgefahr, damit sein Leben an unserem sterblichen Körper sichtbar wird. So leben wir im Angesicht des Todes, und das hat euch das Leben gebracht. 
Dennoch hören wir nicht auf zu predigen, weil wir denselben Glauben haben wie der Psalmist, der sagte: »Ich glaube an Gott, deshalb rede ich.« Wir wissen, dass derselbe Gott, der Jesus, unseren Herrn, auferweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken wird und uns zusammen mit euch vor sich hintreten lassen wird. Das alles ist zu eurem Besten. Und wenn Gottes Gnade immer mehr Menschen zu Christus führt, wird auch der Chor derer, die ihm danken, immer lauter, und Gott wird immer mehr Ehre erwiesen. 
Deshalb geben wir nie auf. Unser Körper mag sterben, doch unser Geist wird jeden Tag erneuert. Denn unsere jetzigen Sorgen und Schwierigkeiten sind nur gering und von kurzer Dauer, doch sie bewirken in uns eine unermesslich große Herrlichkeit, die ewig andauern wird! So sind wir nicht auf das Schwere fixiert, das wir jetzt sehen, sondern blicken nach vorn auf das, was wir noch nicht gesehen haben. Denn die Sorgen, die wir jetzt vor uns sehen, werden bald vorüber sein, aber die Freude, die wir noch nicht gesehen haben, wird ewig dauern.“

Dieses Ziel hat sie jetzt erreicht. Und wir, die wir noch hier sind und sie kannten, gehören zur Menge derer, die Gott danken. Ohne sie wäre unser Dank ärmer.

Kann man mehr in seinem Leben erreichen?

Dienstag, 15. November 2011

Was Väter richtig machen können

Andreas – ein Verwandter von mir – ist Vater von vier Kindern und ich bewundere, wie er das schafft. Aber noch etwas hat er mir voraus: Er kennt Joasch. Ich habe den erst bewusst wahrgenommen, als er mir davon erzählte.
Joasch ist der Vater von Gideon, von dem im Richterbuch, Kapitel 6–8, berichtet wird. Gideon hatte eine unerwartete Begegnung mit Gott und bekam den Auftrag, er solle Gottes Volk, die Israeliten, befreien. Sie waren von Feinden bedrängt. Die erste Aktion aber richtete sich nicht gegen die Feinde, sondern gegen den verfälschten Glauben im eigenen Volk: Viele suchten nicht mehr nach Jahwe, dem Gott der Väter, sondern glaubten an Baal und die Göttin Aschera. Gideon sollte hier ein Zeichen setzen und den Altar Baals und das Götzenbild von Aschera verwüsten.
Das Pikante dabei: Der Altar gehörte Joasch, Gideons Vater. Außerdem lautete der Auftrag Gottes: Gideon solle für Jahwe einen Stier opfern (das Feuer genährt vom Holz des Götzenbildes), und auch den Stier sollte er von seinem Vater nehmen. Gideon hatte also alle Chancen, es sich nicht nur mit dem eigenen Volk zu verderben, sondern auch mit dem eigenen Vater. Tatsächlich hatte Gideon Angst vor der Reaktion seiner Sippe.
Dennoch traute er sich und führte bei Nacht und Nebel die Aktion durch. Doch schnell kam heraus, wer’s gewesen war. Vater Joasch (seit dieser Nacht um einen Stier und einen Altar ärmer) sollte seinen Sohn herausrücken, damit man ihn lynchen kann.
Und nun kommt der Moment, wo Joasch aus irgend einem Grund über sich hinauswächst, umschaltet, sich völlig anders als bisher orientiert. Er bricht mit der Loyalität zu Baal und Aschera und stellt sich voll und ganz hinter seinen Sohn:
»Aber Joasch erwiderte allen, die um ihn herumstanden: ›Wollt ihr Baal etwa verteidigen? Wollt ihr ihn retten? Wer für ihn kämpft, soll noch an diesem Morgen sterben! Wenn Baal tatsächlich ein Gott ist, wird er sich selbst dafür rächen, dass jemand seinen Altar eingerissen hat!‹ Von da an wurde Gideon Jerubbaal genannt, das bedeutet: ›Möge Baal sich selbst rächen‹, weil er den Altar des Baal eingerissen hatte.« (Richter 6,31+32)
Joasch begreift, dass sein Sohn Gideon ihm eine sehr große Erfahrung mit dem wahren Gott voraus hat. Er erfasst irgendwie, dass er selbst, Joasch, auf dem falschen Dampfer war. Plötzlich zweifelt er an seinem bisherigen Gott und an seiner bisherigen Religion. Er erkennt das an, was sein Sohn – über ihn hinausgehend – vom Gott der Väter erfahren hat. Er stellt sich dazu, schützt und fördert seinen Sohn. Auch um den Preis, dass er jetzt – mit Gideon – gegen das Volk steht. Vom verlorenen Stier schon gar nicht zu reden.
Für mich ist das ein wunderbares Beispiel dafür, was Väter richtig machen können: Nicht beim eigenen Lebensentwurf stehenbleiben, sondern mit den Kindern dort mitgehen, wo die näher zu Gott gelangen, konsequenter Jesus nachfolgen, besseres Gespür für Gottes Reich haben. Als Vater nicht nur davon profitieren, sondern das stärken und – im Rahmen der eigenen Möglichkeiten – weiter nach vorn bringen. Für Gideon entstand daraus eine neue Facette seiner Identität: eine wichtige Erfahrung in seinem Leben, die ihm einen neuen Namen eintrug.
Ich hoffe für Väter wie Andreas und mich, dass wir im richtigen Moment so sind wie Joasch.

Freitag, 11. November 2011

Wenn die Bibel wirken darf ...


Einer der bemerkenswertesten Berichte über die Wirkung von Gottes Wort steht in Nehemia 8. Der „Pastor“ der Israeliten – der Priester und Schriftgelehrte Esra – bekommt einen Auftrag,  nach dem sich jeder echte Pastor die Finger leckt: Er soll dem Volk aus der Bibel vorlesen. Die Leute selber wünschen das und holen Esra heran. Der tut es nicht nur, sondern bringt gleich eine Abordnung von Bibel-Erklärern mit. „Und sie legten das Buch des Gesetzes Gottes klar und verständlich aus, sodass man verstand, was gelesen worden war.“ (Nehemia 8,8) Hm, muss man das extra betonen: „sodass man verstand ...“? Na ja, erfahrungsgemäß gibt es auch die andere Variante heutzutage – also muss man es extra betonen.
Stundenlang wurde aus dem Gesetz vorgelesen – und am folgenden Tag ging es mit den Führungspersonen des Volkes weiter. Und dann kommen zwei große Überraschungen – eine für die Israeliten damals und eine für uns, die wir davon lesen.
Man kam zu den Abschnitten im Mosegesetz, in denen das Laubhüttenfest angeordnet wird: Alle Israeliten sollen ein paar Tage lang in Blätterhütten wohnen. Das war damals offenbar in Vergessenheit geraten. Sie entdeckten dieses Fest ganz neu, es war eine frische, unverbrauchte Weisung.
Die zweite Überraschung – ich finde es jedenfalls überraschend: Sie haben es sofort umgesetzt! Sind losgezogen, haben Zweige geholt, Lauben gebaut und das Fest gefeiert.
Wie unwahrscheinlich es war, dass die Israeliten dieses Gebot befolgten, muss man sich einmal klar machen:  Das Volk war aus der Deportation in Babylonien zurückgekehrt. Das Land hatte in Trümmern gelegen. In einer außerordentlichen Anstrengung hatten Nehemia und die Israeliten die Stadtmauern wieder aufgebaut. Hatten den Intrigen der Gegner dabei Widerstand geleistet. Endlich war die Arbeit vollendet. Endlich eine befestigte, sichere Stadt! Endlich Schluss mit den Provisorien! Endlich Mauern – Steine bedeuten hier Geborgenheit.
Und dann sollen sie plötzlich Laubhütten bauen – zur Erinnerung daran, „dass ich, der Herr, das Volk Israel einst auf dem Weg von Ägypten in sein Land in Laubhütten wohnen ließ. Ich bin der Herr, euer Gott!“ (3. Mose 23,43) Zeichen des Aufbruchs statt Sesshaftigkeit. Das Statussymbol der Sicherheit – die Mauern – war plötzlich nicht mehr maßgeblich, sondern das genaue Gegenteil sollte „inszeniert“ und gefeiert werden. Das Lebensgefühl der Flüchtlinge, der Heimatlosen wurde heraufbeschworen. Bei nicht wenigen könnten Narben der Seele wieder aufgebrochen sein. Das hatten wir doch endlich hinter uns!
Aber sie tun es. Bauen sich die Lauben und feiern das Fest. Führen sich damit gegenseitig vor Augen: Wir sind im Tiefsten Aufbruchsleute. Das, was wenige Tage zuvor erreicht wurde, der Mauerbau, ist nicht die Basis unserer Sicherheit. Wir ruhen uns nicht darauf aus. Wir lassen zu, dass Gott uns zumutet, startbereit zu bleiben.
Wie viele Gemeinden heute, wie viele Christen wären bereit, diesen „Preis“ zu bezahlen? Keinen erhebenden Festakt zur Mauerfertigstellung zu feiern (keine Sorge, der kommt auch noch: Nehemia 12,27-43), sondern dem gegenteiligen Lebensgefühl Raum zu geben?
Es ist durchaus nicht selbstverständlich, dass die Bibel wirken darf. So wirken darf wie damals bei Nehemia. Einen Kontrapunkt zum wohlig-behaglichen und zuvor sauer verdienten Lebensgefühl setzen darf. Ich finde es überraschend.
Wenn die Bibel wirken dürfte ... bei uns ... heute ...