– Ein Mosaikstein –
„Homosexualität in der Bibel“ – das Thema hat viele Facetten.
Dieser Beitrag fokussiert sich auf einen einzigen Aspekt von vielen; vermutlich
ist es ein Nebenschauplatz. Doch er verdient Beachtung. Im Gesamtbild der
Thematik ist dies nur ein einzelner Mosaikstein.
Unter den vielen
Argumenten, die dafür angeführt werden, dass man aus biblischer Sicht
praktizierte Homosexualität ablehnen solle, ist auch dieses:
„An keiner Stelle
der Bibel erscheint Homosexualität in einem positiven Kontext.“ Oder:
„Gleichgeschlechtliche Liebe wird in der Bibel immer nur in negativen
Zusammenhängen erwähnt.“
Negativer Kontext – ein
stichhaltiges Argument?
Ist dieses Argument stichhaltig? Im Blick ist dabei die
Argumentationsstruktur. Im
Folgenden wird nicht die Frage diskutiert, ob es vielleicht doch Stellen in der
Bibel gibt, die Homosexualität positiver bewerten. Vielmehr geht es um die
Frage: Was für eine Aussagekraft hat es, wenn in der Bibel ein bestimmter
Sachverhalt nur negativ konnotiert ist? Ist das eine
ausreichende Basis, um Schlussfolgerungen für Dogmatik oder Ethik daraus zu
ziehen?
Ich persönlich habe
lange darüber nachgedacht, ob es andere Beispiele in der Bibel gibt, die man
entsprechend bewerten würde. Bei zwei Linien werden wir schnell fündig:
• Es gibt viele Lebenserfahrungen, die eine Abweichung vom Durchschnitt darstellen – und die in der Bibel (auch) in positivem Licht dastehen. Ungewollte Kinderlosigkeit, Behinderungen, Menschen als Leitragende von Gewalt, Ehelosigkeit innerhalb einer Kultur, in der die Ehe eine Norm darstellt – all das sind Arten von „Ausnahmeerfahrungen“. Und in der Bibel finden wir Beispiele, die zeigen, dass Gott sich der betreffenden Menschen annimmt, sie in sein Handeln einbezieht, dass sie keineswegs von der Gottesnähe ausgeschlossen sind. Das gilt, obwohl diese Erfahrungen und Lebensumstände weitgehend nicht Gottes ursprünglichen Schöpfungsentwurf widerspiegeln.
• Es gibt daneben viele Lebenserfahrungen, die ebenfalls nicht im Sinne des Schöpfers sind und die in der Bibel klar negativ bewertet werden: Lüge, verübte Gewalt, Unterdrückung, Habgier, Zerstörung des Rufs anderer … Die negative Bewertung in der Bibel signalisiert hier deutlich: Gott lehnt das ab und er möchte nicht, dass Menschen diese Wege wählen.
Ein Fallbeispiel
Allerdings können wir mindestens eine Lebenserfahrung bzw.
einen Lebensumstand identifizieren, für den gilt:
• Er wird in der Bibel nie positiv bewertet oder
konnotiert;
• er spiegelt mit großer Wahrscheinlichkeit
nicht oder kaum Gottes Schöpfungsentwurf wider;
• die betreffenden Menschen sind weitgehend in
Gottes Handeln einbezogen, sie sind nicht von der Gottesnähe ausgeschlossen,
von ihnen wird nicht erwartet, dass sie ihre Befindlichkeit um jeden Preis
überwinden oder ablegen. Diese Erfahrung ist nicht per se als Sünde zu
bezeichnen.
Was für ein
Lebensumstand ist das? Ich spreche von der Mehrgewichtigkeit / Adipositas /
Fettleibigkeit.
Wir wissen heute,
dass Adipositas auf viele verschiedenen Ursachen zurückgehen kann. Ungünstige
Ernährung ist eine davon, daneben spielen die Genetik eine Rolle, kulturelle
Prägung, psychische Faktoren, Nebenwirkung von Medikamenten und auch bestimmte
Krankheiten, bei denen Adipositas zum Krankheitsbild gehört. Nicht zu vergessen
sind soziale Faktoren: Im Durchschnitt sind Menschen mit geringerem Einkommen,
geringerem Bildungsstand und niedrigerer beruflicher Stellung häufiger
mehrgewichtig.
Klar ist: Die
meisten Menschen haben es sich nicht ausgesucht, adipös zu sein. Sie finden
sich irgendwann in diesem Status vor. Sicherlich gibt es auch Fettleibigkeit,
die von fahrlässig ungesunder Ernährung gefördert wird, von Maßlosigkeit im
Essen oder von leichtfertig unterlassener Bewegungsroutine im Alltag. Dennoch
wäre es falsch, lieblos und ethisch verwerflich, bei adipösen Menschen zunächst
einmal anzunehmen, sie seien selbst schuld an ihrem Zustand und sie könnten
sich verändern, wenn sie es nur wollten. Das trifft auf einen erheblichen Teil
der Betroffenen nicht zu!
Gleichzeitig wird
man sagen können: Der Idealzustand im Sinne des Schöpfers ist das nicht.
Adiposität bringt wohl nicht selten ein gewisses Maß an Leiden mit sich, selbst
wenn man den gesellschaftlichen Druck unberücksichtigt lässt.
Krankheit oder
ähnliche Umstände trennen jedoch nicht prinzipiell von Gott. Sie sind kein
Indikator für das Maß von Gottes Liebe, für die Glaubenstreue der Betroffenen, für
die Konsequenz der Nachfolge. Im Gegenteil: Wir verstehen das Evangelium so,
dass Gott sich gerade auch den Betroffenen in Liebe zuwendet, auch wenn ihre
Befindlichkeit bleibt, sie wie ist. Viele Varianten von Leidenserfahrung
ermöglichen sogar eine besondere Nähe zu Christus.
Nun müssen wir
allerdings beobachten: In der Bibel ist eine positive Nennung oder
Bewertung von Mehrgewichtigkeit nirgends zu finden. Fettleibige Menschen sind
oft Vertreter einer bösen Haltung. Adipostät ist oft mit falscher
Selbstzufriedenheit und Gottlosigkeit konnotiert. Die KI-Anwendung
„Nikodemus.AI“ des ERF Bibleservers nennt als Ergebnis: „Tatsächlich gibt es in
der Bibel keine prominente Figur, die ausdrücklich als ‚dick‘ oder ‚fettleibig‘
im positiven Sinne beschrieben wird. Körperfülle wird meist neutral oder sogar
kritisch erwähnt – aber nie als Kriterium für Wert oder Gottes Segen.“
Schlussfolgerung
Was bedeutet das für unseren Umgang als Christen mit
betroffenen Menschen? Welche ethischen Konsequenzen sind aus dem biblischen
Befund zu ziehen?
Gar nichts! Gar
keine Konsequenzen! Vielmehr gilt das zuvor Gesagte: Gott wendet sich diesen
Menschen in Liebe zu und von ihnen wird nicht erwartet, sie müssten ihren
Zustand überwinden, um Gott damit wohlgefälliger zu sein.
Damit ist aber das
Argument prinzipiell entkräftet, das gegen
praktizierte Homosexualität angeführt wird: In der Bibel komme Homosexualität
nie in positivem Kontext vor, und damit sei eine ethische Aussage getroffen. Um
der gedanklichen Klarheit willen und um der Bibel kein Unrecht zu tun, sollte
dieses Argument nicht mehr verwendet werden.
Zwei abschließende Bemerkungen
Schlussbemerkung 1: Vermutlich sind von diesem Beitrag viele
Menschen negativ berührt, die zu der Gruppe der Mehrgewichtigen / Adipösen /
Fettleibigen gehören (die Begriffe sind strenggenommen nicht bedeutungsgleich).
Ist es nicht unsensibel, aus diesem Lebensthema und/oder Krankheitsbild ein
abstraktes Fallbeispiel zu machen? Ist es nicht verletzend, die Betroffenen heranzuziehen,
um eine theologische Frage durchzudeklinieren? Geht das nicht über die Würde
dieser Menschen achtlos hinweg?
Das mag sein; das können Betroffene im Einzelfall zu Recht
so empfinden. Aber wir sollten dabei nicht übersehen, dass – in weit größerem
Ausmaß und mit weit weniger Sensibilität – homosexuellen Menschen genau dies
passiert, immer und immer wieder: Ihr persönliches Lebensthema, ihre Biografie
wird oft instrumentalisiert, um Fragen des Bibelverständnisses abzuhandeln.
Homosexuelle Orientierung wird von vielen, die in christlichen Kreisen das Wort
ergreifen, nicht als Thema der Seelsorge und Lebenshilfe angesprochen, sondern
als Thema der Schriftauslegung, der Dogmatik und der Prinzipienethik. Das ist unsensibel, verletzend und geht
über die Würde der betroffenen Menschen oft achtlos hinweg! Das Beispiel der
Adiposität ist leider geeignet, auch diesen Zusammenhang spürbar zu machen.
Schlussbemerkung 2: Dieser Beitrag versteht sich, wie eingangs gesagt, als Mosaikstein. Die Absicht ist nicht, für das Gesamtbild von „Homosexualität und Bibel“ schon eine Vorentscheidung zu treffen. Es geht allerdings darum, für angemessene und saubere Argumentation zu werben. Das gilt unabhängig davon, wie man das Gesamtbild beschreibt und einschätzt.
