Die Antwort von Paulus in 2. Korinther
5 ist sehr eindeutig: Versöhnung ist für alle da, für die ganze
Welt. Niemand ist ausgenommen.
„... das alles von Gott, der uns mit
sich selber versöhnt hat durch Christus. Denn Gott war in Christus
und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre
Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der
Versöhnung. “ (2Kor 5,18-19)
Das ist die biblische
Allversöhnungslehre: Die Welt ist mit Gott versöhnt. Seitdem ist
alles anders geworden. Jeder Mensch, der lebt, ist jemand, an dem
Gott bereits gehandelt hat.
Daraus sind einige Schlussfolgerungen
zu ziehen:
1. Diese Welt hat eine Geschichte mit
Gott, ob sie es weiß oder nicht. Gott hat eingegriffen und in der
Welt und an der Welt gehandelt.
2. Versöhnung heißt nicht: Gott war
in seiner Ehre gekränkt oder in seinem Herrschaftsbereich so
getroffen, dass er zornig wurde und deshalb versöhnt werden musste
oder sich dann wieder versöhnt hat. Gott hat nicht sich mit
der Welt versöhnt, sondern die Welt mit sich versöhnt. Von
Gottes Zorn redet die Schrift zwar oft und darüber ist noch intensiv
nachzudenken. Aber fest steht: Nicht Gott musste versöhnt werden,
sondern die Welt – wir.
Damit entfallen alle Einwände gegen
eine Versöhnungslehre, die besagen: Was ist das für ein kleiner
oder kleinlicher Gott, den man so empfindlich treffen kann,
beleidigen kann und dessen Zorn dann durch Versöhnungsleistungen
gestillt werden muss. Versöhnung als Leistung an Gott – das sagt
Paulus gerade nicht. Ein solcher „kleinlicher“ Gott ist nicht der
Gott der Bibel. Hier sollte man nicht mit falschen
Gottesvorstellungen arbeiten.
Gottes Zorn kann ohnehin nicht durch
Menschen gestillt werden. Gottes Zorn ist eine Realität, aber eine,
mit der nur er selbst klar kommen kann. Doch davon muss ein anderes
mal gehandelt werden.
Bei Paulus ist es eindeutig: Gott wurde
nicht versöhnt, Gott hat versöhnt.
3. Die Welt ist durch Christus
mit Gott versöhnt. An ihm vorbei weiß Paulus nicht von Versöhnung
zu reden. Es ist also nicht so, dass man mit einem allgemeinen
Gottesbegriff argumentieren kann: Gott ist Liebe und als Liebe könne
er nicht dauerhaft zornig sein oder dauerhaft den Menschen ihre
Verfehlungen anrechnen – das ginge nicht, weil es sich nicht mit
der Liebe vertrage. – Dies ist ein Gedankengang, der ohne Christus
auskommt – und der als Voraussetzung eben einen allgemeinen
Gottesbegriff hat. Hier scheint eher ein „Prinzip Liebe“ zugrunde
zu liegen als ein lebendiger Gott.
Paulus kennt die – recht verstandene
– „Allversöhnung“ der Welt, aber die ist zentral verankert in
Christus.
4. Die Versöhnung hat eine Begründung
– signalisiert durch „denn“ in 2Kor 5,21: Christus ist zur
Sünde geworden, hat sich mit ihr geradezu identifiziert (so wie
Paulus im Galaterbrief sagen kann. Christus sei für uns ein Fluch
geworden), und wir werden (verwandelt) zur Gerechtigkeit, die vor
Gott gilt – und zwar „in Christus“. Was Paulus hier schreibt,
hat die Kirche später mit der Formel vom „admirabile
commercium“, vom „wunderbaren Tausch“ bezeichnet. Christus
und wir tauschen die Rollen – er wird zur Sünde, wir zur
Gerechtigkeit.
Dahinter steht die Vorstellung von der
Stellvertretung. Die Rettung kommt von außen, nicht aus uns selbst,
„extra nos“, wie die kirchliche Formel dafür lautet. Dass
ein Stellvertreter nötig ist, zeigt damit zugleich, dass wir
Menschen komplett unzureichend sind, um Versöhnung zu bewirken.
Aus den verschiedenen möglichen
Deutungen des Lebens und Sterbens von Jesus ist hier bei Paulus also
eine bestimmte besonders herausgegriffen und wichtig: die
Stellvertretungs-Christologie. Dass Christus für uns zur Sünde
gemacht wurde (2Kor 5,21), ist nicht denkbar ohne den Zusammenhang
mit dem Tod von Jesus: „Denn als Erstes habe ich euch
weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben
ist für unsre Sünden nach der Schrift.“ (1Kor 15,3). In dieser
Deutung des Todes von Jesus spitzt sich die Versöhnungslehre des 2.
Korintherbriefs zu.
5. Ist die Welt nun also mit Gott
versöhnt? Von Gott aus ja. Aber das Faktum, das Gott geschaffen hat,
ersetzt nicht die Zustimmung der Versöhnten. „So bitten wir nun an
Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2Kor 5,20) An der
Welt ist etwas geschehen, aber sie muss es nun auch an sich geschehen
lassen. Sonst gleicht sie dem mit dem Fallschirm abgesprungen
Soldaten, der auf einer Pazifikinsel gelandet ist, nicht mitbekam,
das der Krieg zu Ende ging und sich immer noch in Verteidigungsgräben
eingräbt und auf jeden Boten schießt, der vom Feind zu kommen
scheint.
6. Die Welt ist versöhnt, aber auf
einem bestimmten Weg. Zwei Möglichkeiten sehe ich, diese Versöhnung
zu verpassen: entweder ihr nicht zustimmen und mit Gott keinen
Frieden schließen wollen; oder Versöhnung zwar wollen, aber nicht
auf dem Weg des „wunderbaren Tauschs“, sondern an Christus
vorbei.
Damit ist noch längst nicht alles
betrachtet, was Paulus zur Allversöhnung sagt. In einem folgenden
Beitrag muss es um Kolosser 1,20 gehen. Fortsetzung folgt.