Gott ist Liebe. Sehr einseitig. Er ist
zwar auch gerecht, aber die Liebe ist sein Wesen. Wenn Gott alle
seine Geschöpfe liebt – wird er dann am Ende nicht auch alle
annehmen? Alle für sich gewinnen?
Wie könnte ein liebender Gott es
ertragen, dass manche seiner Menschen verloren gehen?
Zum Wesen der Liebe gehört es, dass
sie wirbt. Dass sie alles einsetzt, um ein Gegenüber für sich zu
gewinnen. Gewinnen heißt: Die Liebe will Gegenliebe wecken. Sie kann
nicht zur Gegenliebe zwingen. Zumindest können wir Menschen uns eine
solche zwingende Liebe nicht vorstellen. Für uns gehört zur Liebe
notwendig die Freiheit des Geliebten, dass er antwortet – so oder
so, mit ja oder nein –, oder dass er eben auch nicht antwortet.
Wo Liebe in menschlichen Beziehungen
mit Zwang verbunden ist, da spüren wir schnell, wie beklemmend das
wird.
„Das letzte Wort hat die Liebe“ –
mit dieser Formulierung kann man die Hoffnung ausdrücken, dass am
Ende alle Menschen von Gott angenommen werden. Ohne dass ich das
gleichnamige Buch gelesen habe, erlaube ich mir, über diese
Formulierung nachzudenken. Wenn es die Liebe ist, die das letzte Wort
hat, dann kann dieses Wort keins sein, das sein Gegenüber festlegt.
Dieses letzte Wort, das Gott sprechen wird, kann die Intensität der
Liebe vielleicht in bisher nicht gekanntem Maß offen legen. Gott
kann einen unvergleichlichen Blick in sein vor Liebe brennendes Herz
gewähren und klar machen, was er sich diese Liebe hat kosten lassen.
Aber wenn es Liebe ist, wird sie die Zustimmung nicht erzwingen.
Wie könnte ein liebender Gott
ertragen, dass manche seiner Menschen ihm verloren gehen? „Muss“
er nicht alle retten, wenn er Liebe ist? Gegenfrage: Wie könnte ein
liebender Gott es ertragen, dass er letztlich einige seiner Menschen
nur so gewonnen hat, dass er ihnen am Ende eine Rettung aufgezwungen
hat oder ihnen vorher die Freiheit zur Antwort genommen hat? Wie
könnte Gott als Liebe es ertragen, dass er zum Schluss sich selbst
die Antwort, um die er wirbt, erschaffen hat?
Das Wort „Mission“ hat für viele
einen schlechten Klang, weil es mit Überredung zusammen zu hängen
scheint. Es scheint der Würde und Freiheit der Menschen zu
widersprechen. Wer einen anderen respektiert in dessen innersten
Überzeugungen, der wird ihn doch wohl nicht „bekehren“ wollen!
So geht der Gedankengang vieler. Nicht selten wird im gleichen
Atemzug ausgeschlossen, dass Gott am Ende Menschen verwerfen wird.
Solch ein Gott scheint doch nichts mit Liebe zu tun zu haben.
Aber was tritt den Respekt und die
Menschenwürde mehr mit Füßen: Wenn jemand „missioniert wird“,
d.h. jemand macht eine Aussage darüber, was er glaubt, und lädt den
anderen auch zu diesem Glauben ein? Oder ein Gott, der am Ende die
erklärte Absicht von Menschen doch nicht respektiert und alle auf
seine Seite holt? Egal, ob sie seine Liebe erwidern wollen oder
nicht? Dass Gott alle Menschen in den Himmel bringt: Liegt darin
nicht auch eine kräftige Missachtung der Würde – weil es
Missachtung menschlicher Freiheit wäre?
Natürlich will Gott von Herzen keinen
Menschen verwerfen. Aber was ist mit denen, die ihn verwerfen?
„Kriegt“ er die letztlich dennoch?
Aber – was für ein Schmerz wäre es
für einen liebenden Gott, wenn ihm dann doch einige verloren gehen!
Kann das denn sein?
Gegenfrage: Kann es Liebe ohne Schmerz
überhaupt geben? Muss nicht die Möglichkeit des Schmerzes in der
Liebe notwendig mit enthalten sein? Vor Jahrzehnten gab e ein Buch
mit dem Titel: „Theologie des Schmerzes Gottes“. Allein in diesem
Titel ist schon etwas sehr Wahres erkannt!
Und was ist mit den Tränen, dem Leid
und dem Schmerz? All das soll doch in Gottes neuer Welt verschwunden
sein (Offb 21,4). Kann denn dann noch in Gott selbst ein Schmerz
bleiben?
Hier bleibt für meine Logik eine
Lücke. Ich kann das nicht erklären. Aber andererseits: Damit es
keinen Schmerz gibt, deshalb die Freiheit des Menschen am Ende doch
nehmen – kann das denn sein? Auch das gibt meine Logik nicht her.
In menschlicher Liebe zumindest ist es
so: Wenn sie auf keine Gegenliebe stößt, wenn sie kein „Ja“ als
Antwort bekommt, dann nimmt diese abgelehnte Liebe einen reifen uns
guten Weg, wenn sie irgendwann das Nein akzeptiert. Und sich
irgendwann von den Erwartungen, die nicht erfüllt werden,
verabschiedet. So wird die reife Liebe frei, das zu sehen, was auch
noch da ist. Dahin zu blicken, wo sie Antwort auf die Liebe findet.
Ist Gottes Liebe am Ende der Zeiten
auch so? Dass sie einen schmerzlichen Ablöseprozess durchmachen und
die Tatsachen anerkennen muss?
Mich stören im biblischen Bild von der
Vollendung, wie es Offb 21—22 beschreibt, die „negativen“
Aussagen: Dass auch jetzt noch betont werden muss, wer nicht dazu
gehört und wer auf der Seite des Todes ist (V. 8.27). Angenommen,
die hier verwendeten drastischen Bilder – der See von Feuer und
Schwefel – wären ein symbolisches Bild für das Gegenteil des
Lebens. Gott sieht sich als die Quelle des Lebens. Nicht jeder Mensch
wird das anerkennen und annehmen. Diese Menschen finden das Leben –
zumindest das, wie Gott es definiert – nicht. Gott lässt sie los.
Sie gehen auf die Gegenseite.
Ob die Verse 8 und 27 in Offb so etwas
sind wie Echos auf den Anerkennungs-Prozess Gottes? Ein Nachhall von
Gottes Liebe, die jetzt ein Ja dazu findet, dass manche Nein zu ihr
sagen, und die sich nun von den Geliebten ablöst, nachdem diese sich
bereits abgelöst haben? Ist das der Grund, warum in dem hellen Bild
von Offb 21—22 auch diese dunklen Verse stehen?
Das ist jetzt keine exakte
Schriftauslegung, wie ich sie eigentlich richtig finde. Aber immerhin
lautes Nachdenken über Gottes Wort und Gottes Wesen.
Was für mich überzeugend bleibt:
Liebe kann nie zwingen. Liebe muss mit der Möglichkeit des Nein
rechnen. Liebe versucht zu gewinnen, aber das kann nur ergebnisoffen
sein. Eine Liebe, die letztlich doch garantiert alle „kriegt“,
ist widersinnig – das ist keine Liebe, oder?