„Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen!“ (Lukas 15,1). Das hat man damals über Jesus gesagt. Kaum etwas ist so typisch für Jesus wie seine Zuwendung zu denen, die glaubensmäßig untauglich erschienen. Er hat besonders ihnen den Weg in Gottes Königsherrschaft geöffnet.
Wenn Jesus niemanden ausschloss und
sagte: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinaus stoßen“
(Joh 6,37) – ist nicht gerade Jesus dann der Beweis, dass Gott am
Ende alle annehmen wird? Wenn Jesus das zuverlässigste Spiegelbild
Gottes ist, kann der Gedanke dann überhaupt noch möglich sein, dass
Gottes Gericht am Ende einen doppelten Ausgang hat, mit Annahme und
Verwerfung?
Hier kommt alles darauf an, von
„welchem“ Jesus wir sprechen. Es gibt den Jesus, dessen Bild man
unwillkürlich auf wenige Verhaltensweisen und Werte reduziert. Der
„liebe Heiland“, der nichts Böses will. Und diese Redeweise vom
„lieben Heiland“ darf ja tatsächlich nicht zur Karikatur werden!
Heiland heißt Retter, und lieb heißt in diesem Fall: liebend. Jesus
ist und bleibt der liebender Retter. Der Spruch vom „lieben
Heiland“ hat einen richtigen Kern.
Aber Jesus ist ja keine eindimensionale
Person. Jesus ist vieles – unter anderem auch Prophet in der
Tradition alttestamentlicher Propheten.
Jesus als Prophet
Und nun muss man zugeben, dass in der
Verkündigung von Jesus sich durchaus viele Worte finden, die von
einem doppelten Ausgang des Gerichts sprechen. Das ist schroff. Aber
Jesus, der liebende Retter, ist eben zugleich auch schroff, wie ein
alttestamentlicher Prophet.
Die Gleichnisse vom Reich Gottes
gehören anerkanntermaßen zum Kern von Jesu Botschaft (Matthäus 13;
Markus 4). Gerade hier ist immer wieder von der Möglichkeit die
Rede, dass Gott am Ende richtet und trennt und dass dann auch welche
verloren gehen – wie Spreu, wie Unkraut, wie unnütze Fische. Der
liebende Retter Jesus nimmt die Sünder an und wer zu ihm kommt, den
wird er nicht hinaus stoßen. Aber das Gegenteil ist nicht weniger
betont: Wer nicht zu ihm kommt, denn muss er gar nicht mehr hinaus
stoßen, denn er hat sich selbst ja schon nach draußen gestellt –
und dort wird Jesus ihn auch lassen, wenn denn in seinen Gleichnissen
z.B. vom Unkraut unter dem Weizen und vom Fischnetz (Mt 13) Wahrheit
enthalten ist.
Hier müsste man über einen möglichen
Einwand sprechen. Jesus redet in der Tradition der alttestamentlichen
Propheten und die haben vielfach Gottes Gericht angesagt. Aber fast
immer waren das – z.B. bei Jesaja oder Amos – doch Rufe zur
Umkehr. Gott hat hier nicht die starr verlegten Gleise in die
Ewigkeit beschreiben lassen. Sondern er hat die Botschaft vom Gericht
und der Verwerfung in Auftrag gegeben, damit die Hörerinnen und
Hörer umkehren und gerade nicht im Gericht scheitern und
verworfen werden.
Sind die Gleichnisse von Jesus nicht
Ähnliches? Ernste Warnrufe, die aufrütteln wollen, damit das
angekündigte Unheil gerade nicht eintritt?
Das könnte so sein. Vielleicht (!)
wollte Jesus einen Satz wie Matthäus 13,49-50 noch nicht als Gottes
letztes Wort verstanden wissen. Vielleicht.
Aber auch hier müssen wir genauer
hinsehen.
Bußrufer und Apokalyptiker
Die alttestamentlichen Propheten kann
man – grob – in zwei Gruppen einteilen: Diejenigen, die ihre
Zeitgenossen in der Gegenwart zur Umkehr rufen, und die
anderen, die Endzeitvorhersagen machen. Diese Endzeitpropheten
gehören zu der Sorte der „apokalyptischen Prophetie“. Die haben
eher über mehr oder wenige festgelegte Zukunfts-Szenarien
gesprochen. Bei denen geht es um die Endzeit. Aber die andere Gruppe
von Propheten wollte das eben nicht, sondern es waren
„Buß-Propheten“; Umkehrrufer für ihre Zeitgenossen.
Wenn Jesus also ein Prophet der „ersten
Sorte“ war, wie z.B. Jesaja, dann wollte er vielleicht doch keine
endgültigen Aussagen über dass Endgericht machen?
Jedoch verbinden sich bei einzelnen
Propheten beide Sorten von Prophetie. Mitten im Jesajabuch findet
sich die sogenannte „Jesaja-Apokalypse“ (Kapitel 24 bis 27). Die
historisch-kritische Theologie mag diese Kapitel dem Jesaja der
vorhergehenden Kapitel absprechen und meinen, in dieser Apokalypse
käme ein ganz anderer Prophet zu Wort. Nun, selbst wenn – bei
Jesus ist es unbestreitbar, dass er beide Sorten von Prophetie
verbindet: den Umkehrruf an seine Zeitgenossen und die apokalyptische
Prophetie (unübersehbar in Mt 24-25 und Mk 13 und Lk 21).
Die Worte von doppelten Ausgang des
Gerichtes Gottes finden sich bei Jesus nun nicht allein in den
Reich-Gottes-Gleichnissen (erste Sorte von Prophetie), sondern auch
in seinen apokalyptischen Worten, z.B. in Mt 24,40-41.
Das Maß aller Dinge, das Maß allen Denkens
Christliche Theologie hat – wenn sie
denn christlich ist – in Christus ihr Maß. „Jesus Christus, wie
er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort
Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu
vertrauen und zu gehorchen haben.“ (These 1 der Barmer
Theologischen Erklärung)
In der Frage nach Gottes Gericht und
der Versöhnung am Ende ist Jesus Christus ebenfalls das Maß aller
Dinge.
Er ist der liebevolle Retter, der
niemanden hinaus stößt, der zu ihm kommt. Aber damit ist gerade der
präzise Ort genannt, wo Rettung zugänglich ist: „zu ihm kommen.“
Wer diesen Weg willentlich nicht wählt,
der muss sich mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass Gottes
Gericht am Ende eine doppelten Ausgang hat: Er nimmt die an, die sich
auf Jesus verlassen, und akzeptiert die Ablegung derer, die das nicht
tun wollen.
Auch von Jesus her ist eine
Allversöhnung nicht gut zu begründen.