Das Ziel von Gottes Plänen beschreibt Paulus in Kol 1,19-20 folgendermaßen:
„Denn
es hat Gott wohlgefallen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte und
er durch ihn alles mit sich versöhnte, es sei auf Erden oder im
Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.“
Alles soll mit Gott versöhnt sein. Man
kann auch übersetzen: Das All soll mit Gott versöhnt sein. Das
klingt sehr universal – als ob auch das Universum mit gemeint sein
könnte.
Wir begegnen hier Bekenntnis-Aussagen,
die schon aus 2Kor 5 bekannt sind: Gott hat bereits die Versöhnung
gestiftet (Christus hat Frieden gemacht). Nicht Gott musste sich
versöhnen, sondern die Welt (Hier im Kolosserbrief: „alles“)
musste sich mit Gott versöhnen bzw. mit Gott versöhnt werden. Und:
Der Weg zu dieser Versöhnung ist klar definiert; er geht über
Christus und sein Kreuz.
Deutungen des Kreuzes
Das Kreuzesverständnis im
Kolosserbrief setzt dabei andere Akzente als der 2. Korintherbrief.
Dort haben wir eine Stellvertretungs-Christologie gefunden. In Kol
2,14-15 drückt Paulus es anders aus. Es verbinden sich zwei
Vorstellungen: a) das Kreuz als Ort, an dem die Schuld bezahlt wurde.
Der Schuldschein ist ans kreuz geheftet – dorthin, wo das Vergehen
des Hingerichteten angezeigt wurde. Der Gekreuzigte wurde also für
„unsere“ Schuld hingerichtet. b) Dieses Geschehen ist ein Sieg
und Triumph Gottes. „Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht
entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen
Triumph aus ihnen gemacht in Christus.“ Das ist bemerkenswert: Der
Moment größter Qual und Erniedrigung ist zugleich der große Sieg
und die völlige Überlegenheit von Christus.
Dem Kolosserbrief reicht an dieser
Stelle also nicht eine einzige geistliche Deutung des Kreuzes von
Christus aus. ER verbindet zwei Deutungen. Die Erfahrung, dass Gottes
Sohn am Kreuz starb, ist zu reich, als dass man sie mit nur einer
einzigen Vorstellung ausreichend erfassen könnte. Jedoch fehlt auch
im Kolosserbrief die Stellvertretungs-Christologie nicht völlig.
Gottes Plan A
Eine solche Allversöhnung ist also
Gottes erklärte Absicht. Für dieses Ziel hat er die ganze Welt
geschaffen. Für dieses ziel hat er den höchsten denkbaren Preis
bezahlt, nämlich seinen Sohn hingegeben. Es wäre kaum vorstellbar,
dass das umsonst gewesen sein sollte. Diese Allversöhnung ist Gottes
Plan A.
In dem theologischen Vortrag, den ich
vor einigen Wochen hörte, war gerade diese Schriftstelle ein
Hauptbeleg des Referenten: Alles ist auf Christus hin geschaffen (kol
1,16). In ihm also sollen sich alle Linien der Geshcihte einmal
bündeln. Nichts anderes will Gott.
Nun ist der Satz aus Kol 1,20 ja eine
Absichtserklärung. Keine Voraussage – „es wird so sein“
–, sondern ein „Damit“-Satz: „Damit es so kommen
wird“. Daraus ergibt sich die Frage: Wird sich dieser Wille Gottes
erfüllen? Kommt Gott mit allem, was er will, zum Ziel?
Wie ist es an anderen Stellen in der
Schrift? Kommen Gottes Pläne immer zum Ziel?
Seitenblick in den Epheserbrief
Der Epheserbrief ist mit dem
Kolosserbrief eng verwandt. Im ersten Kapitel dort zeigt Paulus die
Grundabsichten Gottes auf. Unter anderem nennt er: „Er hat uns ja
das Geheimnis seines Willens zu erkennen gegeben … alles
zusammenzufassen in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das,
was auf der Erde ist - in ihm.“ (Eph 1,9-10) Das klingt recht
ähnlich wie im Kolosserbrief. Eine weitere Absicht Gottes ist:
„damit wir etwas seien zum Lob seiner Herrlichkeit.“ (Eph 1,12)
Wird diese Absicht eintreffen –
werden alle Glaubenden „etwas sein zum Lob von Gottes
Herrlichkeit“? Paulus erweckt nicht den Eindruck, als stünde
dieser Plan Gottes auf der Kippe. Er schreibt mit großer Zuversicht.
Dennoch zeigt der Epheserbrief, dass einzelne sich dieser Absicht
Gottes entziehen können. Deshalb mahnt Paulus die Gemeinde
ernsthaft. In Eph 5,5 sagt er klar, dass Menschen, die sich nicht in
ihrem Leben von Gott prägen lassen, keinen Anteil am Reich Gottes
haben werden. Sie sind dann also nicht „etwas zum Lob seiner
Herrlichkeit“. Der Grundklang des Briefes bleibt: Zuversicht. Aber
die Absicht Gottes ist dennoch kein Selbstgänger. Die negative
Möglichkeit, dass einzelne Gottes Absichten verpassen, bleibt am
Rande bestehen.
Gott kommt demnach mit seinem Plan –
den er teuer bezahlt hat – nicht überall zum Ziel. Unserer
Vorstellung von der Allmacht Gottes widerstrebt das vermutlich. Aber
Gott ist offenbar keiner, der seinen Plan A gegen alle Widerstände
durchsetzt.
Seitenblick ins Lukasevangelium
Das Gleichnis vom Vater und seinen
beiden Söhnen (Lk 15) lässt die Leidenschaft des Vaters deutlich
erkennen: Er will beide Söhne bei sich zu Hause haben, und zwar
nicht nur im Haus, sondern in seiner Nähe, in vertrautem Umgang mit
ihm. Keinem der beiden Söhne zwingt er diesen Plan auf. Der jüngere
Sohn erfüllt schließlich die Absicht des Vaters – aus freien
Stücken. Der ältere auch? Im Verlauf des Gleichnisses nicht. Der
Vater lädt ihn dringlich ein. Aber dann endet das Gleichnis. Ist es
nicht sehr bezeichnend, dass Jesus das Ende offen lässt? Liegt darin
nicht eine bedeutsame theologische Aussage, nämlich: Es bleibt eben
offen, ob der ältere Sohn auch zum Vater heimkehrt? Niemand kann das
ausschließen. Und niemand kann logisch zwingend beweisen, dass es
so sein wird – dass er heimkehren wird, dass die Liebe des Vaters
ihn so überwinden wird, dass er ihr schließlich folgt.
Das Bild des Vaters, das Jesus
zeichnet, ist allerdings eindeutig: Er zwingt keinen. Er hat seinen
„Plan A“, aber ist bereit, sich darauf einzulassen, dass dieser
Plan nicht zum Ziel kommt und er auf einen „Plan B“ umschwenken
muss.
Zurück zum Kolosserbrief
Auch
in Kolosser 1, unserem Ausgangspunkt, bleibt der Absichtssatz nicht
mehr als ein Absichtssatz. Er wird nicht zum Zukunftssatz, zur festen
Vorankündigung: „Denn es hat Gott wohlgefallen, dass in ihm alle
Fülle wohnen sollte und er durch ihn alles mit sich versöhnte ...“
Wird sich das erfüllen? In V. 22
betont Paulus, dass die Versöhnung „für euch“ (die Christen in
Kolossä“ eine gegebene Tatsache ist. Aus ihr folgt die
Möglichkeit, dass sie heilig in Gottes Gegenwart sein können. Dann
aber (V. 23) fügt Paulus eine Bedingung an: „sofern ihr im Glauben
gegründet und fest bleibt und euch nicht abbringen lasst von der
Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt, das in der ganzen
Schöpfung unter dem Himmel gepredigt worden ist ...“
Unter dieser Bedingung kommen Gottes
Pläne zum Ziel. Unter dieser Bedingung erfüllt sich Gottes Absicht
der Allversöhnung.
Das erste Kapitel des Kolosserbriefs
ist ein biblischer Hauptbeleg für die verschiedenen
Allversöhnungslehren. In diesem ganzen Kapitel aber, vollständig
gelesen, kann ich nicht erkennen, dass am Ende der Zeiten einmal
jeder einzelne von Gott angenommen wird. Oder besser gesagt: Dass
sich jeder einzelne einmal von Gott wird annehmen lassen.