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Freitag, 11. November 2011

Wenn die Bibel wirken darf ...


Einer der bemerkenswertesten Berichte über die Wirkung von Gottes Wort steht in Nehemia 8. Der „Pastor“ der Israeliten – der Priester und Schriftgelehrte Esra – bekommt einen Auftrag,  nach dem sich jeder echte Pastor die Finger leckt: Er soll dem Volk aus der Bibel vorlesen. Die Leute selber wünschen das und holen Esra heran. Der tut es nicht nur, sondern bringt gleich eine Abordnung von Bibel-Erklärern mit. „Und sie legten das Buch des Gesetzes Gottes klar und verständlich aus, sodass man verstand, was gelesen worden war.“ (Nehemia 8,8) Hm, muss man das extra betonen: „sodass man verstand ...“? Na ja, erfahrungsgemäß gibt es auch die andere Variante heutzutage – also muss man es extra betonen.
Stundenlang wurde aus dem Gesetz vorgelesen – und am folgenden Tag ging es mit den Führungspersonen des Volkes weiter. Und dann kommen zwei große Überraschungen – eine für die Israeliten damals und eine für uns, die wir davon lesen.
Man kam zu den Abschnitten im Mosegesetz, in denen das Laubhüttenfest angeordnet wird: Alle Israeliten sollen ein paar Tage lang in Blätterhütten wohnen. Das war damals offenbar in Vergessenheit geraten. Sie entdeckten dieses Fest ganz neu, es war eine frische, unverbrauchte Weisung.
Die zweite Überraschung – ich finde es jedenfalls überraschend: Sie haben es sofort umgesetzt! Sind losgezogen, haben Zweige geholt, Lauben gebaut und das Fest gefeiert.
Wie unwahrscheinlich es war, dass die Israeliten dieses Gebot befolgten, muss man sich einmal klar machen:  Das Volk war aus der Deportation in Babylonien zurückgekehrt. Das Land hatte in Trümmern gelegen. In einer außerordentlichen Anstrengung hatten Nehemia und die Israeliten die Stadtmauern wieder aufgebaut. Hatten den Intrigen der Gegner dabei Widerstand geleistet. Endlich war die Arbeit vollendet. Endlich eine befestigte, sichere Stadt! Endlich Schluss mit den Provisorien! Endlich Mauern – Steine bedeuten hier Geborgenheit.
Und dann sollen sie plötzlich Laubhütten bauen – zur Erinnerung daran, „dass ich, der Herr, das Volk Israel einst auf dem Weg von Ägypten in sein Land in Laubhütten wohnen ließ. Ich bin der Herr, euer Gott!“ (3. Mose 23,43) Zeichen des Aufbruchs statt Sesshaftigkeit. Das Statussymbol der Sicherheit – die Mauern – war plötzlich nicht mehr maßgeblich, sondern das genaue Gegenteil sollte „inszeniert“ und gefeiert werden. Das Lebensgefühl der Flüchtlinge, der Heimatlosen wurde heraufbeschworen. Bei nicht wenigen könnten Narben der Seele wieder aufgebrochen sein. Das hatten wir doch endlich hinter uns!
Aber sie tun es. Bauen sich die Lauben und feiern das Fest. Führen sich damit gegenseitig vor Augen: Wir sind im Tiefsten Aufbruchsleute. Das, was wenige Tage zuvor erreicht wurde, der Mauerbau, ist nicht die Basis unserer Sicherheit. Wir ruhen uns nicht darauf aus. Wir lassen zu, dass Gott uns zumutet, startbereit zu bleiben.
Wie viele Gemeinden heute, wie viele Christen wären bereit, diesen „Preis“ zu bezahlen? Keinen erhebenden Festakt zur Mauerfertigstellung zu feiern (keine Sorge, der kommt auch noch: Nehemia 12,27-43), sondern dem gegenteiligen Lebensgefühl Raum zu geben?
Es ist durchaus nicht selbstverständlich, dass die Bibel wirken darf. So wirken darf wie damals bei Nehemia. Einen Kontrapunkt zum wohlig-behaglichen und zuvor sauer verdienten Lebensgefühl setzen darf. Ich finde es überraschend.
Wenn die Bibel wirken dürfte ... bei uns ... heute ...