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Samstag, 21. August 2010

Die Schelomit-Perspektive

Hart und ungepuffert stehen die Namen nebeneinander:

Samuel. Saul. Abner. Joab.

Zwischen jedem dieser Namen müsste eigentlich ein Aufschrei zu hören sein. Diese Menschen waren miteinander verkettet in Schmerz, Enttäuschung, Hass und Trauer.

Samuel und Saul: Samuel hatte als Mann Gottes und geistlicher Vater Saul ins Königsamt gebracht. Saul ist daran gescheitert, zuletzt manisch getrieben, quasi geisteskrank. Samuel musste ihm das Königtum – im Auftrag Gottes – wieder entziehen. Aber das war für Samuel ein Schnitt durch seine Seele, er machte Gott heftige Vorhaltungen über seine Pläne und betrauerte den Gescheiterten. Saul seinerseits versuchte noch nach Samuels Tod, ihn in panischer Verzweiflung anzusprechen – als Totenbeschwörer. Postmortale Ruhestörung.

Saul und Abner: Sie waren Cousins und arbeiteten zusammen. Abner war der Fünf-Sterne-General von König Saul. Saul hatte es nicht fertiggebracht abzudanken, obwohl er in Gottes Augen nicht mehr als König legitimiert war. Nach Sauls Tod „erbte“ General Abner Sauls Sohn als seinen neuen König. Loyal kämpfte er für diesen Thronnachfolger. Doch irgendwann überwarfen sie sich wegen einer Frauengeschichte. Abner lief zu Sauls Feind David über. Nach Abners Tod brach das Machtsystem des Sohnes Sauls hohl zusammen. Der König wurde, ohne dass ihn jemand verteidigte, nachts im Schlaf erstochen.

Abner und Joab: Joab war einer der mächtigsten Offiziere von David, schon bevor David ans Königtum gekommen war. Abner, damals noch Gegner Davids, wurde von Joabs Bruder Asahel im Kampf gejagt. Er ließ sich nicht von Abner warnen, der das böse Ende kommen sah. Schließlich tötete Abner den Bruder Joabs in einer Art militärischer Selbstverteidigung . Joab konnte das nicht verwinden und fand Gelegenheit zur Rache. Er brachte Abner um, auf eigene Rechnung und hinter dem Rücken seines Dienstherrn David. Der Autor Eugene Peterson charakterisiert beide, Abner und Joab, schlicht als „Dummköpfe“.

Samuel.
Saul.
Abner.
Joab.

Namen wie scharfkantige Scherben. Sie sind wie in einer Schicksalsgemeinschaft miteinander verkettet. Sie kamen kaum voneinander los – und doch herrschte Schmerz und Wahnsinn zwischen ihnen, Blut floss.

An einer Stelle in den biblischen Erzählungen stehen diese Namen still nebeneinander.

„Auch alles, was Samuel, der Seher, und Saul, der Sohn des Kisch, und Abner, der Sohn des Ner, und Joab, der Sohn der Zeruja, geheiligt hatten – all dieses Geheiligte war in der Hand Schelomits und seiner Brüder.“ (1. Chronik 26,27)

Hier fällt nun ein weiterer Name: Schelomit.

Schelomit war einer der Chef-Aufseher über die Opfergaben im Tempel. Die Israeliten hatten Gelegenheit, aus ihrem Vermögen etwas für den Tempeldienst zu stiften. Erfolgreiche Soldaten weihten einen Teil der Kriegsbeute Gott. Aber auch andere – wie der Prophet Samuel, ein Zivilist – brachten Vermögenswerte in den Tempel. Schelomit war einer der Verwalter darüber. Aber er (mit seinen Brüdern) hatte dabei noch eine spezielle Aufgabe: Er verwaltete auch alles, was diese vier Leute Gott geweiht hatten: Samuel, Saul, Abner und Joas.

Angenommen, Schelomit kannte die Geschichte dieser Männer: Was hat er wohl über deren Opfergaben gedacht? Wie hat er sie aufbewahrt? Eines jeden Sachen in eine separate Kammer? Oder friedlich nebeneinander ins selbe Regal, in dieselbe Truhe? Hat er den Kopf geschüttelt jedes mal, wenn er die Schätze durchzählte und blank polierte? Hat er sich gefragt: „Wie konnten die nur?“ Oder hat er mit einer Art versöhnlicher Milde alles extra nebeneinander platziert – vielleicht haben sich manche Gegenstände berührt? Schelomit, ich würde gern deine Gedanken kennen!

Samuel, Saul, Abner und Joas – keiner der vier Männer war gottlos gewesen! Alle gehörten zu Gottes Volk. Jeder hat seine Gaben mit der Geste und vermutlich auch der Haltung der Hingabe Gott geweiht.
Aber ihre Hingabe an Gott hat nicht dazu geführt, dass ihr Leben weniger tragisch verlaufen wäre. Die Glaubenden, die Frommen – ungemildert scharfkantig sind ihre Lebensgeschichten ineinander verkrallt.

Schelomit ist für mich ein Repräsentant Gottes. Was er zu tun hatte in der Schatzkammer des Tempels, das ist – so meine ich – Werk Gottes durch alle Zeiten hindurch. Seine Kinder versuchen recht und schlecht, aber meist in guter Absicht, Gott zu dienen. Aber untereinander fügen sie sich Verletzungen zu, töten mit Taten oder Worten oder Gedanken. Und viele meinen vermutlich, sie wären ein wenig näher an Gott als der jeweils andere – näher als die, die sie verletzt haben oder von denen sie verletzt wurden.

Ich glaube, Gott ist an dieser Stelle ähnlich wie Schelomit. Er sieht die Geschichte eines jeden. Absichten, Verstrickungen, Verblendungen, Vergehen, Übergriffe. Er hat das, was geschehen ist, nicht verhindert. (Höchstens Schlimmeres noch vielleicht verhindert … wer weiß?) Nichts wird ungeschehen gemacht . Möglicherweise fand Gott es hier und da auch zynisch, wie ein Täter dann fromm eine Opfergabe brachte – gottlos war ja keiner von ihnen.
Aber nun sind sie alle vor ihm. Menschen aus seinem Volk. Heute würden wir sagen: Menschen aus seinem durch Jesus erweiterten Volk. Angenommen, nach allen Wirrungen haben sie sich zu guter Letzt auf Jesus verlassen. Jeder ein Täter, viele ein Opfer, aber in Gottes überzeitlicher Perspektive sind sie beieinander. Gott kennt die Geschichte eines jeden. Der Hass untereinander war heftig. Aber irgendwann wird er verstummt sein.

Die Schelomit-Perspektive macht nichts ungeschehen. Aber sie ist eine höhere Warte. Die Schelomit-Perspektive rechnet damit, dass vor Gott Raum hat, was sich in diesem Leben dem Raum gegenseitig streitig gemacht hat. Die Schelomit-Perspektive ist hoffnungsvoll.