Folgende Frage einer Leserin von Faszination Bibel erreichte
mich:
„In der Bibel finden wir einen riesigen und
wunderbaren Schatz an Verheißungen, Zusprüchen, usw. (z. B. Jes. 41,10,
‚Fürchte dich nicht, ich stehe dir bei ...‘ – das war an das Volk Israel
gerichtet). Ganz selbstverständlich werden einzelne Verse aus dem Zusammenhang
herausgenommen und als persönliches Bibelwort von uns Christen heute in
Anspruch genommen und verstanden. Weshalb sind wir dazu berechtigt? Weil wir Gottes
Kinder und Erben sind oder gibt es eine spezielle Bibelstelle dazu?“
Man kann diese Frage sehr formal beantworten: „Denn auf alle
Gottesverheißungen ist in ihm [Christus] das Ja; darum sprechen wir auch durch
ihn das Amen, Gott zur Ehre“ (2. Korinther 1,20). Demnach könnten Christen
unterschiedslos alle biblischen Verheißungen
für sich beanspruchen.
Aber so eine
Antwort ist sicherlich zu pauschal und geht auch an der Absicht von Paulus, der
diesen Satz geschrieben hat, vorbei. Ich würde eine Reihe von
„Verbindungspunkten“ vorschlagen. An diesen sollten wir entlanggehen und abklopfen,
ob wir uns mit einer Verheißung aus dem Alten Testament verbinden können.
1. Christen dürfen
zu Gottes Volk gehören. Sie sind zu Gottes Volk hinzugestoßen, sie haben das
Volk Israel nicht verdrängt oder ersetzt. Grundlegend ist es also denkbar,
alttestamentliche Verheißungen zu beanspruchen – wobei es aber immer noch auf
den Einzelfall ankommt.
2. Wenn jemand alle
biblischen Verheißungen in Anspruch nehmen darf, dann ist es Jesus Christus.
Wir empfangen eine biblische Verheißung, indem wir sie aus seiner Hand
entgegennehmen. Hier kann man fragen: Würde Christus gerade diese bestimmte
Verheißung aus dem Alten Testament an mich weiterreichen?
3. Die Bibel ist – auch
– eine Geschichte der Bundesschlüsse Gottes mit seinem Volk. Als Christen ist
uns der Neue Bund zugesprochen (Jeremia 31; Matthäus 26; 1. Korinther 11).
Dieser Bund knüpft an vorhergehende Bundesschlüsse an – an den mit Abraham, an
den vom Sinai. Bei einer bestimmten Verheißung kann man fragen, in welchem
Verhältnis sie zu einem biblischen Bundesschluss steht.
4. Viele
Verheißungen sagen etwas über das Wesen Gottes oder das Wesen von Jesus aus.
Enthält die Verheißung eine Beschreibung, die uns auch anderweitig aus der
Bibel bestätigt ist? Dann können wir diese Verheißung auch auf uns beziehen.
5. Überhaupt ist es
ein wichtiger Verbindungspunkt, dass wir uns fragen, ob eine Verheißung – auch
abgesehen vom Wesen Gottes – anderweitig in der Bibel bestätigt wird,
z. B. in den Psalmen oder im Neuen Testament. Wenn ja, könnten wir von
hier aus darauf schließen, dass sie auch uns gilt.
6. Viele
Verheißungen sind nicht pauschal ausgesprochen, sondern an eine Bedingung
geknüpft. Ein Beispiel dafür ist Jesaja 58,6-12:
6
Fasten, wie ich es liebe, sieht doch vielmehr so aus: Lasst die zu Unrecht
Gefangenen frei und gebt die los, die ihr unterjocht habt. Lasst die
Unterdrückten frei. Zerbrecht jedes Joch. 7 Ich möchte,
dass ihr euer Essen mit den Hungrigen teilt und heimatlose Menschen
gastfreundlich aufnehmt. Wenn ihr einen Nackten seht, dann kleidet ihn ein.
Verleugnet euer eigenes Fleisch und Blut nicht. 8 Wenn du so handelst, wird
dein Licht aufleuchten wie die Morgenröte. Deine Heilung wird schnelle
Fortschritte machen. Deine Gerechtigkeit geht dir dann voraus und die
Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach. 9 Dann wirst du rufen und der Herr
wird antworten. Du wirst um Hilfe schreien und er wird antworten: ‚Hier bin
ich.‘ Entferne die Unterdrückung aus
deiner Mitte. Lass die höhnischen Fingerzeichen und das trügerische Reden!
10 Öffne dem Hungrigen dein Herz und hilf dem, der in
Not ist. Dann wird dein Licht in der Dunkelheit
aufleuchten und das, was dein Leben dunkel macht, wird hell wie der Mittag
sein. 11 Dann wird dich der Herr beständig leiten und dir selbst in
Dürrezeiten innere Zufriedenheit bewahren. Er wird deinen Körper erfrischen,
sodass du einem soeben bewässerten Garten gleichst und bist wie eine nie
versiegende Quelle. 12 Deine Leute werden die Ruinen aus alter Zeit wieder
aufbauen. Die Grundmauern vieler vergangener Generationen werdet ihr wieder
errichten. Dann wird man euch folgendermaßen nennen: ‚Die die Risse ausbessern
und die Straßen erneuern, um sie bewohnbar zu machen.‘
Die kursiven Sätze sind wunderbare Verheißungen, die hier
und da vielleicht auch losgelöst zitiert werden. Aber der Zusammenhang macht
ganz klar, wer diese Verheißungen in Anspruch nehmen kann und wer nicht!
7. Schließlich müssen wir auch fair gegenüber uns und
gegenüber der Bibel sein: Wenn wir nach Verheißungen suchen, die uns gelten
können, müssen wir genauso ehrlich auch auf die Worte achten, die Gottes
Kritik, Gericht und harte Konsequenzen ansagen! Wenn uns Worte des Heils gelten
sollen, können wir Worte des Unheils nicht von vornherein ausklammern. Auch
hier gilt dann: Sind sie für uns gültig, weil sie Gottes Wesen entsprechen,
weil sie im Neuen Testament bestätigt werden, weil Jesus Christus sie uns so
weitergeben würde?
In all dem wird deutlich: Unsere Klarheit gegenüber Gottes
Verheißungen wird umso größer, je mehr wir vertraut sind mit den
gesamtbiblischen Zusammenhängen. Der beste Weg, Gottes Verheißungen besser zu
verstehen ist also: die Bibel lesen und immer wieder lesen – und dabei von
Christus als der „Mitte der Schrift“ ausgehen.